KayHH schrieb:
[..]
Meiner Meinung ist die Aufregung völlig lächerlich und nichts weiter als ein Aufhänger um einige Fanatiker aufzuhetzen. Das ist natürlich wieder eine Steilvorlage für einige westliche Regierungschefs.
Einverstanden.
Aber... wer ist dann der agent provocateur, bzw. wer hat den Nutzen von dieser Karikaturiererei hier im Westen? Wenn's eine Steilvorlage fuer einige Falken im Westen ist, wer hat ihnen den Ball dorthin geschossen?
Die
Islamisten (um vom verallgemeinernd verwendeten Begriff "Muslime" wegzukommen) in ihrer sehr berechenbaren Reaktion oder diese Zeitungsmacher in Daenemark?
LoCal und andere (und ich) haben's auch schon angesprochen... es gab in und vor der Nazizeit in Deutschland Karikaturen ueber "Juden", auch mit Bomben, aber auch als Saeuglingsmoerder etc. Ist das Satire gewesen? Ist es damals als Satire
wahrgenommen worden?
Von wem? Und die Karikaturen mit "Niggers" in den USA, fast zweihundert Jahre lang... Jimbo Bimbo... wer hat gelacht und wer war in seiner Wuerde verletzt?
Ich finde alle diese Fragen bzw. vielmehr die Fragen nach einer Loesung, nach einer friedlichen Einigung, immer schwieriger zu beantworten.
Wie ich gerade erfahre, wurde eine der besagten Karikaturen vom deutschen Satiremagazin Simplizissimus adaptiert, aus den Anfaengen des 20. Jahrhunderts. Und der "Mohammed mit Bombe im Turban" ist eine Kopie aus dem Nazimagazin "Der Stuermer", nur war's damals ein bessarabischer Jude mit einer Bombe im Hut.
Weiter geht's...
Wenn ich weiss, dass der grosse muskuloese Kerl mir gegenueber sehr sauer wird, wenn man zu ihm "Dummerchen" sagt und ich ihn dann "Dummerchen" rufe, wer ist dann das Dummerchen? Sehr wahrscheinlich
ich, weil ich dann auf's Maul bekomme. Zweitens auch ich, weil ich ihn damit nicht klueger mache. Drittens ich, weil ich seine Gefuehle verletzt habe.
Andererseits ... natuerlich will ich, dass die UNO sofort ueberall dort einmarschiert, wo Maedchen beschnitten werden, wo "Ehebrecherinnen" gesteinigt werden. Ist natuerlich illusorisch und wahrscheinlich unsinnig.
Wieder andererseits... Protest OK, Boykott OK, Gerichtsklagen OK. Bombendrohung nicht OK, Entfuehrung nicht OK.
Toleranz OK und Respekt OK. Beides muss fuer einander Raum lassen. Aber was bedeutet das in der Konsequenz?
Toleranz gegenueber "Andersdenkenden" MUSS sein. Aber wie weit darf und wie weit muss die Toleranz gegenueber "Anders
handelnden" gehen? Wenn ich sehe, dass ein Starker einen Schwachen haut, muss oder darf ich das tolerieren? Und was wenn der Starke den Schwachen nur haenselt? Oder der Schwache den Starken?
Ihr seht, ich habe mehr Fragen als Antworten.
Ich frage mich zum Beispiel, warum immer ein "letzter" Prophet noetig ist.
- Die Juden warten auf ihren letzten Propheten, den Messias, waehrend sie die vorherigen Propheten, unter ihnen den Rabbi Jeschua, hoch achten, Moses und Abraham sind auch wichtige Namen.
- Die Muslime hatten schon ihren letzten Propheten, naemlich Mohammed, waehrend sie die vorherigen Propheten, unter ihnen Isa ben Mariam hoch achten, ebenso Musa und Ibrahim.
- Die Christen hatten auch schon ihren letzten Propheten, sie achten die vorherigen Propheten weniger, aber Moses wird noch oft zitiert, ohne sich mit seines Steintafeln wirklich auseinandersetzen zu wollen, aber immerhin ist er ja damals mit den Juden vor den
Arabern Aegyptern abgehauen, nicht wahr? Und Abraham, war das nicht dieser komische Kerl mit dem albernen Schluempfelied?.
In Wirklichkeit frage ich mich natuerlich ueberhaupt nicht, warum diese Religionen alle einen "letzten" Propheten brauchen: Sie
erschaffen ihn, sie postulieren ihn, damit niemand sich heute erdreiste, solch einen Job tun zu wollen. Die katholische Kirche tut sich nicht umsonst schwer mit der "Nachfolge Christi" (Thomas von Kempen/Thomas a Kempis) und hat sich auch mit dem heiligen Franz schwergetan, ebenso wie mit dem heiligen Thyl Ulenspygl und dem heiligen Rattenfaenger von Hameln. Und es war natuerlich kein Wunder, dass die Jugendlichen und Kinder sich mit dem um seinen Lohn betrogenen Pfeifer solidarisierten, mit ihm mit- und sich damit dem Regiment ihrer betruegerischen Pfeffersack-Eltern entzogen. Nicht umsonst wurde ca. im 5. Jahrhundert nach Christus der Nazarener zu Gottes Sohn erklaert, nicht umsonst wurde das Dogma von der jungfraeulichen Empfaengnis geschaffen und die Legende vom Kreuzestod und der darauf folgenden Auferstehung und Himmelfahrt.
Aber bevor mir wieder Schaum vor dem Mund steht, weil ich ueberall in mir die Wut gegen meine Ursprungsreligion spuere, welche mich als Kind schon vielfaeltig verkrueppelte, hoere ich lieber auf.
Zur Kenntnis nehme ich jetzt jedenfalls Folgendes: Wenn heute ueber Schwarze, Frauen, Juden, Christen, Schwule (________ fuell hier Deines aus) diffamierende Karikaturen gemacht werden, wird mit Sicherheit ein Grossteil der Betroffenen auf die Barrikaden gehen. Warum sollen sich die Muslime (diesmal bewusst so gesagt) jetzt nicht erzuernt sein, wo sie schon lange zu einer Lieblingszielscheibe des Westens geworden sind?
Falls jetzt jemand denkt, ich haette die Sprungfigur "Gensch" hingelegt (180-Grad-Drehung), dann soll bitte klar sein: Mir geht's darum, auf meine Fragen keine oberflaechlichen, kurzsichtigen Antworten zu finden, sondern lieber
bessere Fragen, die sind naemlich fruchtbarer als vordergruendige Antworten.
Aber ... eine vorlaeufige Antwort, die ich mir selbst gebe:
Es gibt genug Fragen, ueber die wir uns tage- und naechte- und jahrelang unterhalten koennen ... Perspektiven austauschen. Das verspricht sehr spannend zu werden, also lasst uns bitte nicht darueber uns gegenseitig umbringen (Appell an die Kulturen), denn dann bleiben Zuwenige uebrig, die darueber reden koennen. Lasst uns reden und nicht andere in die Luft sprengen. Lasst uns reden und nicht andere zerschneiden. Lasst uns reden und nicht andere verhoehnen.
Lasst uns essen und trinken, lasst uns reden, lasst uns singen und tanzen und feiern. Miteinander. Bitte.
Herzliche Gruesse von einem Giaur, einem Goy, einem ausgestiegenen Katholiken,
von Tom
und sorry fuer das Chaos. Ich hatte in der Schule in meinen Aufsaetzen immer schon Vieren wegen "strukturlos" und "Thema verfehlt" -- aber eigentlich war mir immer klar, dass es in Wirklichkeit eine politische Auseinandersetzung war und man sich dann gerne an meiner Form festgebissen hat 