Hallo,
um es vorweg zu nehmen: Ich stehe den Schäuble-Plänen, sowohl zum Bundestrojaner als auch zur Fingerabdruck-Erfassung äußerst kritisch gegenüber, auch wenn das in anderen Beiträgen von mir vielleicht nicht so deutlich geworden ist. Ich will hier nur mal versuchen zu erklären, wie Schäuble argumentiert und versuchen, eine juristische Einschätzung abzugeben:
Zuerst ist es einmal wichtig, zwischen Strafverfolgung (also Strafrecht = Verfolgung und Ahnung bereits begangener Straftaten) und der Gefahrenabwehr (sog. Polizeirecht = Präentive Verhinderung von Gefahren) zu unterscheiden.
Die hier so oft zitierte Unschuldsvermutung ist ersteinmal nur ein Grundprinzip des Strafrechts. Dort, wo Straftaten begangen wurden ist man so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Dieser Grundsatz schlägt sich auch in den entsprechenden Gesetzen (StGB, Strafprozessordnung) nieder.
Schäuble gehts hier aber nicht um die Strafverfolgung, sondern um die Verhinderung von Straftaten, also um Gefahrenabwehr = Sache des Polizeirechts. In diesem Bereich ist es zumindest äußerst fraglich, ob es da eine Unschuldvermutung überhaupt gibt, weil diese eben eigentlich aufs Strafrecht beschränkt ist.
Im Strafrecht, insbes. im Strafprozessrecht, werden dem Staat weite Eingriffsmöglichkeiten gewährt (Durchsuchungen, Lauschangriff etc.). Diese stellen regelmäßig schwere Eingriffe in Grundrechte dar, sind aber, da sie an ganz enge, penibel geregelte Voraussetzungen geknüpft sind, gerechtfertigt und somit verfassungsgemäß.
Im Polizeirecht ist es so, dass die Eingriffsmöglichkeiten eher vage formuliert sind. Es gibt in der Regel (z.Zt. hat jedes Land ein eigenes Polizeirecht) eine Generalklausel, die in Niedersachsen z.B. so aussieht:
§11 NSOG
Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht die Vorschriften des Dritten Teils die Befugnisse der Verwaltungsbehörden und der Polizei besonders regeln.
Was Schäuble nach und nach versucht ist so eine Art Taschenspielertrick: Er will die Maßnahmen, die im Strafrecht zulässig sind auch zur Gefahrenabwehr anwenden. Dann allerdings ohne die, im Strafrecht, vorschgeschriebenen engen Beschränkungen. Also salopp gesagt: Wir wenden die Maßnahmen aus dem Strafrecht an, halten uns aber nicht an die Beschränkungen, denn es geht ja um Gefahrenabwehr und da gibt's z.b. keine Unschuldsvermutung.
Und genau da liegt der Kern des Problems. Das muss nicht alles per se verfassungswidrig sein, wie ja oft vorschnell behauptet wird. Insoweit muss man (dem Juristen) Schäuble auch recht geben wenn er etwas provokant sagt: Die, die dauernd "verfassungswidrig" schreien geben dadurch oft zu erkennen, dass sie mit Verfassung nicht besonders gut vertraut sind.
Allerdings sind die Pläne zumindest doch verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Ob sie einer Prüfung stand halten kann man aber erst beurteilen, wenn die ausformulierten Gesetze vorliegen. Eine Idee oder ein Vorschlag ist per se nie verfassungswidrig. Es kommt drauf an, was für ein Gesetz am Ende rauskommt.
Mittlerweile hat ja auch Schäubles ehemalige Staatssekretäring und jetzige Justizministerin Zypries angefangen, sich offen gegen die Pläne ihres ehemaligen Chefs zu stellen.
Die Frage die bleibt ist eben, ob Schäuble mit seinen Plänen nicht die Grenze zwischen Strafverfolgung und Strafverhinderung verwischt, und wenn ja, ob diese Verwischung noch in Einklang mit den demokratischen und insbes. rechtstaatlichen Prinzipien steht. Das is eine Frage, die man nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen sollte, sondern über die nachzudenken und ernsthaft zu diskutieren sich lohnt.
Meiner Meinung nach geht die Entwicklung, abgesehen davon, ob es nun im Einzelnen verfassungsgemäß ist oder nicht, in die falsche Richtung. Man kann den Rechtsstaat eben nicht schützen, indem man ihn selbst beschneidet.
Ich will nur klar machen, dass Schäuble kein paranoider Idiot ist, sondern das, was er versucht, durchaus eine gewisse juristische Grundlage hat, auch wenn das für den Nicht-Juristen naturgemäß schwer nachvollziehbar ist.
Die Frage der Folter stellt sich in meinen Augen nicht. Zum einen ist eine Abwägung von Leben gegen Leben, auch 1 gegen 10000 nicht zulässig. Der Täter, der ein Leben auslöscht um viele andere zu retten begeht ganz klar Unrecht. Er wird allerdings unter bestimmten Umständen "entschuldigt", so dass er nicht bestraft wird, was aber nix daran ändert, dass er Unrecht begangen hat. Dem Staat steht dieser Weg nicht offen.
Es muss aber gesagt werden, dass es in der juristischen Fachwelt gar nicht mal so wenige gibt, die sich für Folter, wenn auch in ganz eng geregeltem Rahmen, ausprechen (unter Aufsicht eines Arztes, Verwendung steriler Folterwerkzeuge etc.).
Die allermeisten, und ich zähle mich dazu, lehnen Folter aber rigoros ab: Zum einen sind die Geständnisse völlig wertlos. Wer gefoltert wird der erzählt alles was man von ihm hören will. Zum anderen, und das wiegt viel schwerer, ist Folter ein massiver Eingriff in die Menschenwürde. Ein solcher Eingriff kann niemals gerechtfertigt sein.
lg
Stefan