1965 lebte Ohnesorg ein Jahr lang in Paris, um sein Französisch zu verbessern, und arbeitete dort als Lehrer. Im April 1967 heiratete er seine bereits schwangere Frau Christa und wohnte mit ihr als Untermieter in der Prinzregentenstraße in Berlin-Wilmersdorf. Er war Mitglied im damaligen Diskussionsclub Argument. s
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Seit der Festnahme von elf Mitgliedern der Kommune I am 5. April 1967, die zu Unrecht eines geplanten Sprengstoffattentats auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey verdächtigt wurden, war das Verhältnis zwischen vielen Studenten und den West-Berliner Behörden gespannt. Bei einer Demonstration gegen die Festnahme setzte die Polizei erstmals zivilgekleidete „Greiftrupps“ ein, die einzelne Demonstranten aus der Menge griffen, oft dabei misshandelten und dann wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt der uniformierten Polizei übergaben.
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Nach dem Eintritt des Schahs in das Rathaus griffen diese die Gegendemonstranten plötzlich mit Holzlatten, Schlagstöcken und Stahlrohren an und verletzten Dutzende von ihnen, einige schwer. Die anwesende Polizei griff bei der etwa dreißigminütigen Prügelei nicht ein.
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Zuvor griffen Polizeigruppen zu fünft immer wieder wahllos einzelne Zuschauer aus der Menge heraus und verprügelten sie vor aller Augen; darunter auch Sebastian W., der den Einsatzleiter um Mäßigung bitten wollte. Studenten, die auf Bäume oder den Bauzaun kletterten, um mehr sehen zu können, wurden von dort heruntergezerrt und ebenfalls geschlagen und getreten.
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Nun begannen die Schahanhänger, mit Dachlatten, Holzknüppeln, Schlagringen und Eisenstangen auf die Demonstranten einzuschlagen; sie sollen auch Steine auf sie geworfen haben. Da Flucht nicht möglich war, brach Panik aus. Erneut wurden viele Beobachter verletzt, ohne dass die Polizei eingriff oder jemanden festnahm. Sie ließ die Schläger nach einer Weile durch eine nahegelegene U-Bahnstation abziehen, blockierte dann diesen Ausgang für die Demonstranten und begann ihrerseits, auf diese einzuschlagen.
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Dabei wurden etwa zehn Personen im Hinterhof von mindestens zehn zivilen und uniformierten Polizisten gestellt. Letztere begannen auf erstere einzuschlagen. Der Student Götz F. wurde am Boden liegend von drei Beamten verprügelt und getreten. Ein Demonstrant warf einen Taschenschirm auf einen Polizeibeamten, um ihn abzulenken. Dieser nahm den Schirm auf und schlug damit weiter. Die übrigen Studenten versuchten den Innenhof wieder zu verlassen.
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Ohnesorg stand wenige Meter entfernt an einer Teppichstange und beobachtete die Szene. Nach Aussage des Demonstranten Reinhard B., der auf einer Mülltonne am Hofrand stand, trieb die Polizei dann alle Umstehenden hinaus; nur Ohnesorg habe sich noch im Hof befunden. Der Vorgesetzte von Kurras, Helmut Starke, bezeugte, Ohnesorg habe zu fliehen versucht, worauf Polizisten ihm den Weg abgeschnitten hätten. Erika S. sah, dass drei Polizisten um Ohnesorg herumstanden und ihn verprügelten, worauf er seine Hände halb erhoben habe. Sie habe dies als Zeichen der Ergebung und Beschwichtigung gedeutet. Der beteiligte Polizeibeamte Horst Geiger sagte zunächst aus, Ohnesorg sei von drei Beamten im Griff gehalten worden.
Etwa 20:30 Uhr fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Der Musikstudent Frank Krüger sagte aus:
Und dann habe ich das Mündungsfeuer der Pistole gesehen. Das Mündungsfeuer war ungefähr in Kopfhöhe. Im nächsten Moment lag der Student am Boden und rührte sich nicht.
Andere Zeugen bestätigten, sie hätten Mündungsfeuer in etwa 140–150 cm Höhe über dem Boden gesehen und Ohnesorg fallen gesehen. Einige hörten Ohnesorg zuvor schreien, andere hörten den entsetzten Ausruf:[23]Bitte, bitte, nicht schießen!
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Einer der Journalisten forderte die Polizisten auf, einen Krankenwagen zu holen. Er bekam zur Antwort: Nee, wieso? Das hat Zeit.
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Der Sanitäter Gerhard G. und die Krankenschwester Jutta B., die selbst von Polizeiknüppeln blutig geschlagen worden war, bemühten sich während der Fahrt um Ohnesorgs Leben.
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Gegen 21:25 Uhr erreichte der Wagen das Krankenhaus Moabit. Ein Arzt untersuchte den Verletzten kurz und schrie die Sanitäter an, weshalb sie ihm einen Toten gebracht hätten. Laut Krankenhausakte trat Ohnesorgs Tod jedoch erst um 22:55 Uhr ein; als Todesursache wurde „Schädelbasisbruch“ vermerkt.
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Als tatsächliche Todesursache stellte er einen „Gehirnsteckschuss“ fest. Er zeigte sich überrascht, dass ein sechs mal vier Zentimeter großes Knochenstück der Schädeldecke mit der Einschussstelle herausgesägt und die Kopfhaut darüber zugenäht worden war. Dies deuteten Kritiker später als Versuche, die Todesursache zu vertuschen.
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Obwohl die Einschussstelle freigelegt und daran herumoperiert worden war, will tatsächlich niemand die Schussverletzung bemerkt haben?
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Eine sofort angeordnete polizeiliche Suche nach dem Knochenstück blieb ergebnislos. Das Krankenhaus Moabit verwahrte sich gegen die Verdächtigungen; im späteren Freispruch für Kurras (s. u.) wurde bestätigt, der behandelnde Arzt habe Einschuss, Schusskanal und Projektil im Gehirn nicht erkannt
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Der Berliner Senat beschloss in einer Krisensitzung am Nachmittag des 3. Juni eine allgemeine 14-tägige „Nichtgenehmigung von Demonstrationen“. Dieses verfassungswidrige faktische Demonstrationsverbot blieb bis zum 12. Juni in Kraft.
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Die Polizei habe ohne gravierende Notwendigkeit, mit Planung, einer Brutalität Lauf gelassen, wie sie bisher nur aus Zeitungsberichten über faschistische oder halbfaschistische Länder bekannt wurde…
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Was sich in der Berliner Blutnacht des 2. Juni ereignet hat, war nicht die Auflösung einer Demonstration mit vielleicht etwas zu rauhen Mitteln. Es war ein systematischer, kaltblütig geplanter Pogrom, begangen von der Berliner Polizei an Berliner Studenten. Die Polizei hat die Demonstranten nicht, wie es üblich ist, verjagt und zerstreut, sie hat das Gegenteil getan: Sie hat sie abgeschnitten, eingekesselt, zusammengedrängt und dann auf die Wehrlosen, übereinander Stolpernden, Stürzenden mit hemmungsloser Bestialität eingeknüppelt und eingetrampelt.
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