Du bist "erst" 24 und siehst doch einen so großen Bruch zwischen noch Deiner Jugend in den 90ern und den Kindern heute... finde ich als 80er "Kind" interessant zu lesen. Und das meine ich jetzt nicht ironisch. Prima geschrieben und (leider...) sehr nachvollziehbar...
Naja, ich bin glaube ich auch etwas anders aufgewachsen. Ich wurde sehr wirtschaftlich erzogen, wir hatten mehrere große Unternehmen im Familienbesitz und entsprechend hab ich natürlich einiges mit anderen Augen gesehen. Obwohl bei uns immer Geld ohne Ende da war, hab ich verhältnismäßig wenig bekommen, bei mir hieß es immer: "willste was, arbeite für" und "arbeiten" hieß bei uns nicht, setz dich ins Büro und geh ans Telefon. Internat, Auslandsjahre und diverse andere Dinge haben mich ebenfalls stark geprägt.
Trotzdem allem eine schöne Jugend. Ich kann mich irgendwo noch daran erinnern das bei uns in der Stadt ein sehr großes "wir Jugendlichen"-Gefühl vorhanden war. Gemeinsam für Dinge zu kämpfen, das war schon irgendwie verdammt wichtig. Nachmittage, so wie die Jugend das heute teilweise erlebt, vor Nintendo-Wii oder dem PC, gabs bei uns nicht wirklich. Es sei denn es hat geregnet. Zusammen draußen die Gegend unsicher machen - das wars. Aber bei weitem nicht so wie die Kids heute. Ich meine, wir haben mit 15 immer noch Schnitzeljagd gespielt und haben unsere Nachbarn mit Streichen bombadiert, das sind ganz andere Freizeitbeschäftigungen als man heute so pflegt. Nachmittags an den See radeln, Fußball spielen, Vereine, Pfadfinder, mit Mädels zelten gehen, solche Sachen siehste heute nur noch selten.
Ich mein, mir ist schon irgendwo bewusst das die 90er keine Revoluzer-Zeit mehr war, im Gegensatz zu den 60/70/80ern, wo man ja noch richtig gegen die konservativen Regeln kämpfen konnte. Aber ich hatte ja auch geschrieben, wir waren das Schlusslicht, alles was danach kam - kannste vergessen. Vor allem, weil ich mir inzwischen selbst wieder etwas mehr konservatives Denken bei der Jugend wünsche - nicht nur bei der Jugend, viele Erwachsene Menschen sollten sich selbst mal einen Tag lang auf Video sehen. Bei vielen bekommt "Fremdschämen" einen neuen Stellenwert.
Ich weiß noch wie damals eine Welle durchs Land ging, als überall das Lied von Brothers Keepers lief, wo Samy Deluxe und Konsorten zum gemeinsamen Kampf gegen Rechts aufgerufen haben, das war schon ein verdammt tolles Gefühl. Wir sind anschließend wirklich im Mega-Mob nach Stuttgart aufs Konzert gefahren. Italiener, Türken, Russen, Deutsche - irgendwo die halbe Stadt - wahnsinn.
Aber die Zeit war einfach anders. Heute pushen die Medien einiges nach oben, was uns damals nie erreicht hätte, weil wir nicht so abhängig von TV, Internet, Podcasts, Radio, Zeitschriften, etc. waren. "Damals" gab es noch keinen "bösen Islamisten", da gab es den Muammer, dem seine Mutter konnte verdammt gut kochen und ich erinner mich immer wieder gern an die seltsamen Rituale zurück, die ich inzwischen als ganz normal betrachte. Muammer war auch der kleine türkische Junge, der mit uns das erste mal nach München aufs Oktoberfest gefahren ist, da waren wir beide gerade mal 14, beide in Lederhosen und beide die erste "Halbe"-Mass des Lebens genossen. Das findet hier irgendjemand nicht normal ? Stimmt, heute wird der kleine türkische Junge von Klaus seinen Eltern nachhause geschickt, man möchte keinen Terroristen am Tisch sitzen haben, aber der Klaus - ja der isst gern mal bei Serdar's Familie mit.
Ich laufe heute durch meine Stadt und kenne fast jeden Ausländer, meines Alters und darüber. Mit den Jungen kann ich nichts mehr anfangen, die haben keinen Respekt, keinen Anstand und jemanden, der mir gerade bis zu den Brustwarzen geht, als erstes zu Grüßen, ne sorry - da bin ich zu konservativ für.
Logisch haben wir uns auch verändert, wir laufen heute ja nicht mehr mit Freundschaftsbändchen rum und haben uns alle noch genauso lieb wie vor 10 Jahren, auch bei uns gibt es Leute die extrem abgerutscht sind oder einem Hype gefolgt sind, der Sie irgendwie unpraktisch verändert hat.
Vielleicht haben wir das auch eingeleitet, was die Jugend heute fortführt. Mein zweites Auto war ein e46 BMW 330 ci, so ne richtige Proletenkarre - allerdings auf Understatement hergerichtet, das war genau der Knackpunkt meinem Gefühl nach, wo sich so einiges zum schlechten gewendet hat. Schau da kommen wieder die Türken, allein schon wenn man mit den Autos vorgefahren ist, das haben alle gesagt - ich weiß es, hat man mich schon oft genug als Türke, Grieche oder Italiener betitelt.
Genau da hat sich einiges verändert, genau zu dieser Zeit. Eigentlich banal oder ? Wir waren verdammt stolz auf die Autos, für die wir teilweise richtig hart haben arbeiten mussten und der Neid der Leute hat irgendwie ziemlich viel bewegt. Jedenfalls in unserer Stadt hats irgendwo so angefangen. Mit der Tuning- und Rap-Zeit kam doch der Neid, der Hass, das Spalten in mehrere Lager. Wir wollten sein wie die Amis, andere wollten das nicht.
Sind vielleicht doch wir dran schuld, das die Kids sich heute an so belanglosen Dingen orrientieren ? Ich könnte mich jedenfalls nicht dran erinnern, das ich jemals ältere zum Vorbild hatte, die dicke Autos oder schöne Klamotten getragen hatten, geschweige denn mit irgendwas geprotzt haben.
Komisch - wenn man so drüber nachdenkt, dann kann man den Zeitpunkt an dem sich alles irgendwie schleichend verändert hat, ziemlich gut ausmachen.