Kolumne #10 - Fail-Whale

mightyM

Lambertine
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[preview]Die Fortsetzung zu Kolumne #09: Zu viert eingesperrt in der Apfeltalk-Redaktion. Hauswart und Sekretärin im Feierabend. Drückende Sommertemperaturen. Eine sich nicht öffnen-lassende Bürotür. Ich neben 3 ärgerlichen Kollegen. Prickelnde Emotionen kommen da hoch, die geschickt durch sachliche Lösungsorientiertheit übertüncht werden: "Wir müssen die irgendwie aufbekommen", sage ich bestimmend und gespielt motiviert, und ernte von allen Seiten ein Lächeln - als hätten sie es nicht selbst gewusst. "Ich habe da eine Idee" - Gerd trat hervor. "Lass mich das mal machen". Er zückte seine Brieftasche aus der Gesäßtasche, klappte diese bedächtig auf und warf einen zögernden Blick hinein.[/preview]

"Die da", verkündete er, "die ist gut!". Er nahm eine dieser typischen Plastikkarten, die man nie braucht, aber dennoch ständig bei sich trägt - in diesem Falle eine orange-farbene IKEA-Family-Card! Unvermittelt machte sich "Gerd McGyver" an die Arbeit: Karte in den Türschlitz geschoben, an der Türklinke sanft zerrend und mit dem Oberkörper gegen die Tür stämmend - es vergingen nur Sekunden und ein "Klacken" war zu vernehmen. "Ein Glück", dachte ich mir - bis sich Gerd zu uns umdrehte - mit einer halben IKEA-Card in der Hand.

Während ich noch etwas verdutzt schaute, zückte Christian schon sein Schweizer Taschenmesser. Man verzeihe mir an dieser Stelle die namentliche Nennung der genutzten Objekte - keine Schleichwerbung, sondern vielmehr als Gedankenstütze für euch gedacht. Nachdem er einen Schritt näher zur Tür trat, kniete er vor ihr nieder und warf einen prüfenden Blick zum Schloss. "Der Riegel scheint defekt, aber wenn die Zylinder noch greifen, kann ich es schaffen!" Ich spürte sofort, er war der richtige Mann für diese Aufgabe. Leider jedoch nicht das Taschenmesser - welches zwar nicht abbrach, aber sich elegant verbog, während er im Türschloss stocherte. "Wo haste denn das gekauft mein Lieber?" - Felix war entsetzt. "Wow, ein dynamisches, sich mit-verbiegendes Taschenmesser! Was diese lieben Schweizer sich einfallen lassen, ist ja unfassbar praktisch! Wo ist denn da die Hydraulik versteckt?" fügte ich höhnisch hinzu. Christian wandte sich traurig ab. Die Apfeltalk-Redaktionstür forderte nach der IKEA-Card nun ein weiteres Opfer: Christians Taschenmesser. "Zu meinem achten Geburtstag hatte ich das bekommen. Hab's nie gebraucht. Das war sein erster Einsatz... mein Herz hing daran."

Doch keine Zeit zu trauern - wir mussten handeln. Der Stress förderte Felix Harndrang. "Jungs, wie verfahren wir weiter? Ich hab wohl einen Kaffee zu viel getrunken..." Unser Zeitrahmen wurde schmaler. Felix begann die 25qm auf und ab zu gehen. Fast schien es so, als versuche er die Situation "auszuschwitzen". Ich schaute mich um nach brauchbarem Werkzeug. Irgendwie erfolglos. Christian hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und blickte fragend auf sein Taschenmesser. Gerd telefonierte mit seiner Frau - sein Los, es war ein schweres - er musste beichten, die IKEA-Card kaputt gemacht zu haben, und fast schien es so, als würde er sich wünschen, nicht allzu schnell aus dem Büro befreit zu werden.

Für einen Augenblick blendete ich alles um mich herum aus. Ich stand unmittelbar vor der Tür. Starrte sie an. Diese verdammte Tür. Es war dem Stress zu verdanken, dass unsere Kleidung ein wenig durchnässt war - allen voran ich. Nichtmal einen Schraubenzieher hatte ich finden können. Und das in einer Redaktion, in der hauptsächlich Menschen männlichen Geschlechts unterwegs sind - ein Debakel, dass mir lediglich eine Nagelfeile in die Hände fiel. Wir konnten uns wohl kaum "durchfeilen".

"Twitter!" - Christian sprang auf, den Zeigefinger hoch haltend. Gerd war gerade im Begriff sein Telefonat zu beenden, Felix lief nach wie vor auf und ab, wendete aber seinen Blick unvermittelt in Christians Richtung. "Dieser neue Twitter-Client, damit kann man sehen, wer in seinem näheren Umkreis etwas getweetet hat - somit erreichen wir vielleicht Leute, die sich hier auch im Gebäude befinden, und versuchen könnten, die Tür von außen zu öffnen!" - man muss einmal anmerken, wir hatten ja bereits geschaut, wie teuer so eine professionelle Befreiungsaktion seitens eines hauptberuflichen Schlüsseldienstes wäre - entschlossen uns dann aber sofort, dass entsprechende Geld lieber in ein neues Taschenmesser für Christian zu investieren - wahre Kollegialität gepaart mit reiner Sparsamkeit!

Umkreis-Tweets sollten uns also helfen. Twittern und abwarten, die Devise gefiel niemanden so recht. Dennoch fanden wir es irgendwie puristisch, als technische Geeks ausgerechnet diesen untypischen Weg zu nutzen. Christian gab sich fest überzeugt und legte los. Felix begann währenddessen damit, interessante Tanzschritte einzuüben. Gerd MacGyver versuchte mittels Sekundenkleber die IKEA-Card zu reparieren. Er hatte zuvor das stecken gebliebene Stück aus dem Türrahmen gepuhlt.

Die Zeit verging. Minute für Minute verstrich. Hochangestrengt versuchte ich eine Lösung zu finden, die fernab vom teuren Schlüsseldiensten lag.

Wie in Hypnose ging ich eine mentale Symbiose ein - es gab nur noch mich, die Tür, 1 Meter Abstand - und ein Ziel. Im Hintergrund hörte ich Christian etwas sagen, worauf Felix und Gerd mit angehobener Stimme scheinbar spontan reagierten. Ich hörte nicht hin. Versteifte mich. Hörte die anderen meinen Namen sagen. Hörte Worte wie "Endlich". Reagierte nicht. Fasste einen Entschluss: Ich, die Tür, 1 Meter Abstand, ein Ziel - "Ich stoß einfach mit voller Wucht gegen!" - plötzlich hatte ich ein lärmendes Bohren in meinen Ohren, setzte einen Schritt zurück, und noch einen - spannte jede Faser meines Körpers an, sprintete Los!

Die Zeit verging wie in Sekunden. Kurz vor meinem Aufprall spürte ich, wie die Tür nachgab. Ich konnte nicht genau deklarieren, ob ich es bereits war, weil ich die Tür schon berührte, und der Schmerz, den ich aufopferungsvoll für meine Kollegen in Kauf nehmen wollte, erst später einsetzt. Die Tür gab weiter nach, öffnete sich. "Verdammt, kein Widerstand!" realisierte ich, während mir eine Unmenge an Adrenalin durch den Körper schoss. Die Tür war schließlich fast vollends geöffnet, ich vollends beschleunigt und vor mir etwas Unerwartetes - ich prallte dagegen, fiel zu Boden.

Sekunden vergingen bis ich mich vom Schreck erholte. "Jesper?" - "Freundchen, ich weiß nicht wie ihr das in Berlin handhabt, aber Bedanken sieht bei uns in Norddeutschland anders aus!" begrüßte er mich freundlich. Er hatte das Türschloss aufgebohrt (ja klar, das Bohren in meinen Ohren!), rückartig die Tür geöffnet - quasi als Überraschungs-Effekt. Tatsächlich hatte er unseren "Hilferuf" über Twitter gelesen, sich amüsiert, und ist zu uns gestürmt in einer heldenhaften Rettungsaktion. Ich hatte ihn umgerissen, um schlussendlich auf ihm zu "landen". Murphys Law - wenn etwas schief geht, dann richtig. Die anderen drei waren Fassungslos, kamen zu Hilfe, schauten, ob alles in Ordnung sei. Christian konnte sich jedoch einen Spruch nicht verkneifen. "Jesper, du bist ab heute unser Fail-Whale, Twitter sei Dank!". Wir lachten. Nur mir war etwas unheimlich, denn dem aufmerksamen Apfeltalk-User wird nicht entgangen sein, dass Jespers (hier im Forum unter "jesfro" bekannt) Avatar eklatante Ähnlichkeiten zum Fail-Whale aufweist - nur das Jesper seinen Avatar schon wesentlich länger inne hat. Es scheint, als wäre seine Version des Fail-Whales aggressiver - Ähnlichkeiten sind jedoch nicht abzustreiten. Doch das ist ein Fall für Akte XY ungelöst - oder Thema der nächsten Kolumne.
 

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saw

Sondergleichen von Welford Park
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War des ne iBohrmaschine oder warum hatte die keiner gehört.....?
 

computerschreck

Kleiner Weinapfel
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:D oh mann... ich kann nichtmehr! *ROFL*

Wenn das ginge würd ich Karma geben...
Auf jeden fall volle 12 von zehn Punkten - zwei für den Witz ;)

Vielen Dank dafür und weiter so! ;) :D
 

wuhuu

Finkenwerder Herbstprinz
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Murphys Law, oder? Ansonsten wieder eine sehr schöne Kolumne;). Lese ich immer sehr gerne!
 
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darkCarpet

Halberstädter Jungfernapfel
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Du hast es wieder getan, Martin!

Sehr schön geschrieben. ;)
 

circa

Welscher Taubenapfel
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hmm der Teil vorher war irgendwie netter geschrieben.. Das wirkte jetzt wie unter Zwang nachgereicht ;)
 
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Reaktionen: eyecandy

circa

Welscher Taubenapfel
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Ich hatte viel Stoff und wollte es möglichst kurz halten - ein Dreiteiler kam mir zu lang vor - und hätte dem Spannungsbogen geschadet! :)

Du musst Dich ja nicht rechtfertigen ;) Ist auch eher eine subjektive Meinung. Ich zum Beispiel könnte sowas nicht schreiben. Das liegt mir einfach nicht. Aber was präsentieren geht wiederum wunderbar ;).


Wegen mir kann so eine Kolumne auch gerne länger werden. Lesen schadet nur dem, der es nicht macht!
 

mightyM

Lambertine
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Du musst Dich ja nicht rechtfertigen ;) Ist auch eher eine subjektive Meinung. Ich zum Beispiel könnte sowas nicht schreiben. Das liegt mir einfach nicht. Aber was präsentieren geht wiederum wunderbar ;)

Keine Rechtfertigung, wollte nur den Hintergrund erläutern :)
 

T-A-Z

Roter Delicious
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Sehr schön geschrieben, habe beim Lesen gut gelacht :)
 

Christian Blum

Goldrenette von Blenheim
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Ich state hiermit, dass ich Jesper niemals einen Wal nennen würde. Wenn, dann Bremer Delfin!
 

X61t

Antonowka
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Gibt es diese ominösen Redaktionsräumlichkeiten wirklich?