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„Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.“ Diese Weisheit brachte einst Leonardo da Vinci zu Papier. Eine Wahrheit, die ein jeder spüren soll, der auf unserem Planeten weilt. Doch genau das, das Spüren, verliert an Priorität. Wo uns früher der Sonnenbrand auf übermäßigen Konsum von UV-Strahlung aufmerksam machte, soll dies schon bald ein Sensor in Apples vermeintlich kommender iWatch machen – schon bevor es zu Hautschäden kommt. Das ist durchaus nützlich. Doch in einer Welt, in der man mittels speziellen Kontaktlinsen ein Wärmebild wahrnehmen kann, in der man Waldbrände frühzeitig erkennen kann und Menschen mit Implantaten ihre Sinneswahrnehmung verändern; wird das Leben in einer solchen Welt wirklich besser? Oder nur bequemer – und wir unvorsichtiger? Ein Gedankenspiel über die Realität unserer Sinne.[prbreak][/prbreak]
Ein Bildausschnitt von da Vincis Proportionsstudie nach Vitruv: Eine Vorstellung darüber, wie wir sind. bildersuche.org
Sensoren werden salonfähig, auch in Gesundheitsfragen
Die Smartphones in unseren Taschen tragen schon seit den Anfängen Sensoren in sich. Die einen konnten früh den Standpunkt orten, andere konnten Schritte zählen und damit zurückgelegt Entfernung visualisieren. Es ist mittlerweile möglich, sich mithilfe des Fingerabdrucks Zugang zum Telefon zu verschaffen. In der Vergangenheit wurden diese vor allem in der Kriminalistik verwendet, um Verdächtige zu identifizieren. Und selbst dort ist die Verwendung immer noch kontrovers. Denn fehlerhafte Zuordnungen lassen an der Zuverlässigkeit zweifeln. Nun aber kann ein jeder, der sich beispielsweise das iPhone 5S zugelegt hat, auf diese Technik zurückgreifen – und damit eventuell Informationen über seinen eigenen Fingerabdruck an Apples Server weiterleiten, obgleich das Unternehmen selbst behauptet, die Daten würden nur lokal abgespeichert. Das Netz verlor sich nach der Ankündigung in einer Diskussion über die Sicherheit dieses Systems. Und tatsächlich: dem Chaos Computer Club ist es gelungen, das Touch ID-System zu umgehen. Trotzdem dürfte weit über die Hälfte aller 5S-Besitzer die Funktion nutzen.
Bislang bewegte sich die Sensoren-Technik alles in allem in einem überschaubaren Rahmen. Vitalfunktionen beispielsweise blieben weitgehend unberührt. Das könnte sich mit dem Erscheinen der iWatch ändern, sollte das Gerät so heißen. Aktuellen Gerüchten zufolge soll die Uhr die UV-Strahlung messen, die auf den Körper einwirkt. Auch der Puls könnte angezeigt werden. Sogar der Sauerstoffgehalt im Blut soll eingesehen werden können. Damit geben die Nutzer auch Informationen über den Gesundheitszustand des Körpers an Apple weiter. Dabei mahnt Professor Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, im Gespräch mit der Welt den Datenschutz zu bedenken, gerade in medizinischen Fragen. Sensoren werden mittlerweile aber auch schon ganz wo anders verwendet – nämlich unter der Haut.
Wie auch immer sie aussehen oder heißen wird – dass sie kommen wird, gilt als sicher: Apples iWatch. martinhajak.com
Wenn aus Menschen Cyborgs werden
Für viele Anthropologen und Verhaltensforscher gilt der Mensch heutzutage schon als Cyborg, wenn er Handy, Computer und Internet nutzt. Laut Amber Case macht allein Vernetzung uns stärker, schneller und in letzter Instanz – besser. In der Definition muss man aber weitergehen. Erst wenn Technik mit dem Menschen verschmilzt, wenn sie als Teil des Körpers betrachtet wird, gilt man als Cyborg. Dies geschieht meistens mit der löblichen der Intention, Fähigkeiten zu verbessern. So ist von einem Fall bekannt, in dem sich ein Mann ein Gerät einpflanzen ließ, mit dem er Farben wahrnehmen kann (seit Geburt sah er nur schwarz-weiß). Ganz ist klassisch ist der Herzschrittmacher, seit Jahrzehnten hält er in angeschlagenen Menschen die Herzschlagfunktion aufrecht.
In jüngster Vergangenheit wagen sich sogenannte Grinder an mehr. Sie wollen Dinge fühlbar machen, die von Natur aus nicht vorgesehen waren, also über das menschliche hinausgehen. Angefangen hat alles mit Magnetimplantaten unter der Fingerkuppe; mit ihnen kann man mittels einem Kribbeln elektromagnetische Felder erspüren. Man fühlt sich unweigerlich an Science-Fiction-Geschichten erinnert. In dem letzten Ableger der Videospielreihe Deus Ex muss sich der Protagonist an die ihm ungefragt eingepflanzten Implantate gewöhnen, um mit der Welt um ihn herum Schritt zu halten. Das Spiel zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft. Eines, in der Menschen, die maschinelle Verbesserungen im Körper verweigern, untergehen werden. Der gleichen Ansicht ist auch Tim Cannon im Gespräch mit The Verge. Mit dem Unterschied, dass er in der Realität existiert. Zusammen mit anderen Biohackern, wie sich die Tüftler nennen, entwickelte er ein Radarsystem für den Körper. Mit diesem ist es möglich einen Raum mit verbunden Augen zu durchqueren. Cannon hat noch mehr Ideen. Diese sind derzeit schwer umsetzbar, stößt er doch auf große Abneigung gegen chirurgische Eingriffe. Seiner Meinung nach werde sich die Einstellung diesbezüglich aber ändern. „Du wirst es tun, oder du wirst zurückbleiben. Es wird seltsam und ungemütlich werden. Aber entweder machst du mit, oder du könntest bald als veraltet gelten“, sagt er.
Die Vorstellung hinterlässt zurecht einen seltsamen Nachgeschmack. Sind die Menschen bisher nicht oftmals schon mit den uns gegebenen Fähigkeiten überfordert? Und ist es nicht auch die Fragilität, die uns als Mensch ausmacht? Was geschieht mit uns, wenn wir unfehlbar werden, Schmerz nicht mehr als solchen erkennen können? Solche Fragen müssen gestellt werden. Ethik und ein Bewusstsein für den Organismus dürfen nicht zugunsten körpereigener Implantate weichen. Und auch nicht für den Sensorenwahn der Technik-Konzerne. Oder doch?
Ein Bild der Zukunft? Gewisse Gruppen beschäftigen sich schon heute intensiv mit Implantaten zur Verbesserung von motorischen Fähigkeiten. 9to5mac.com
„Wie sich wohl Feuer anfühlt“
Der Einsatz von Sensoren und Implantaten zum Steigern der Lebensqualität von schwerkranken Personen steht außer Frage. Zweifelsohne sind diese „Upgrades“ eine Bereicherung für solche, die ohne kein normales Leben mehr führen könnten. Es ist wie mit allem. Über einen Kamm geschert werden sollte nichts. Und bis zu einem gewissen Punkt ist vieles nachvollziehbar. Ist dieser aber überschritten, winkt nicht selten Gefahr. Was, wenn die Sensortechnik weiter reift und Unternehmen, die sie heute noch in Tablet-PCs verbauen, auf servergestützte Implantate setzen? Man stelle sich vor, wir bekämen von Geburt an ein Frühwarnsystem implantiert, nennen wir es spaßeshalber iWarn. Eines, das uns beispielsweise jegliche Bedrohung anzeigt. Das Kind würde wohl nicht an die heiße Herdplatte fassen – und so schon von klein auf jeglichen Bezug zum eigenen Körper abtrainiert bekommen. Das Schmerzempfinden und der natürliche Instinkt würden mittel- bis langfristig komplett abgeschafft. Und damit auch das Wissen um unsere Grenzen.
Ziemlich sicher sind entsprechende technische Hilfsmittelchen schon von Gruppen wie den Grindern in der Planung. Und wir werden irgendwann vor der Entscheidung stehen ob wir uns von unseren Gefühlen trennen wollen, die ja laut da Vinci auch Leid hervorrufen. Ob wir auf LED-Anzeigen vertrauen möchten, die unter der Hautoberfläche als eine Art subkutanes Display Blutdruck und Körpertemperatur anzeigen. Oder ob wir nicht lieber auf diese unsere innere Stimme hören, die uns seit jeher leitet. Den Spürsinn für Hitze, Kälte und Schmerz. Damit wir Menschen bleiben und eine Welt aus Cyborgs das, was es derzeit ist – eine Vision aus Filmen und Videospielen.
Der Autor wirft an dieser Stelle regelmäßig einen Blick auf Vergangenes und Kommendes. Ob ernst oder luftig – die Kolumne widmet sich interessanten und spannenden Themen, rechnet gerne ab und dichtet noch lieber dazu. Der Apfelblick spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.
Ein Bildausschnitt von da Vincis Proportionsstudie nach Vitruv: Eine Vorstellung darüber, wie wir sind. bildersuche.org
Sensoren werden salonfähig, auch in Gesundheitsfragen
Die Smartphones in unseren Taschen tragen schon seit den Anfängen Sensoren in sich. Die einen konnten früh den Standpunkt orten, andere konnten Schritte zählen und damit zurückgelegt Entfernung visualisieren. Es ist mittlerweile möglich, sich mithilfe des Fingerabdrucks Zugang zum Telefon zu verschaffen. In der Vergangenheit wurden diese vor allem in der Kriminalistik verwendet, um Verdächtige zu identifizieren. Und selbst dort ist die Verwendung immer noch kontrovers. Denn fehlerhafte Zuordnungen lassen an der Zuverlässigkeit zweifeln. Nun aber kann ein jeder, der sich beispielsweise das iPhone 5S zugelegt hat, auf diese Technik zurückgreifen – und damit eventuell Informationen über seinen eigenen Fingerabdruck an Apples Server weiterleiten, obgleich das Unternehmen selbst behauptet, die Daten würden nur lokal abgespeichert. Das Netz verlor sich nach der Ankündigung in einer Diskussion über die Sicherheit dieses Systems. Und tatsächlich: dem Chaos Computer Club ist es gelungen, das Touch ID-System zu umgehen. Trotzdem dürfte weit über die Hälfte aller 5S-Besitzer die Funktion nutzen.
Bislang bewegte sich die Sensoren-Technik alles in allem in einem überschaubaren Rahmen. Vitalfunktionen beispielsweise blieben weitgehend unberührt. Das könnte sich mit dem Erscheinen der iWatch ändern, sollte das Gerät so heißen. Aktuellen Gerüchten zufolge soll die Uhr die UV-Strahlung messen, die auf den Körper einwirkt. Auch der Puls könnte angezeigt werden. Sogar der Sauerstoffgehalt im Blut soll eingesehen werden können. Damit geben die Nutzer auch Informationen über den Gesundheitszustand des Körpers an Apple weiter. Dabei mahnt Professor Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, im Gespräch mit der Welt den Datenschutz zu bedenken, gerade in medizinischen Fragen. Sensoren werden mittlerweile aber auch schon ganz wo anders verwendet – nämlich unter der Haut.
Wie auch immer sie aussehen oder heißen wird – dass sie kommen wird, gilt als sicher: Apples iWatch. martinhajak.com
Wenn aus Menschen Cyborgs werden
Für viele Anthropologen und Verhaltensforscher gilt der Mensch heutzutage schon als Cyborg, wenn er Handy, Computer und Internet nutzt. Laut Amber Case macht allein Vernetzung uns stärker, schneller und in letzter Instanz – besser. In der Definition muss man aber weitergehen. Erst wenn Technik mit dem Menschen verschmilzt, wenn sie als Teil des Körpers betrachtet wird, gilt man als Cyborg. Dies geschieht meistens mit der löblichen der Intention, Fähigkeiten zu verbessern. So ist von einem Fall bekannt, in dem sich ein Mann ein Gerät einpflanzen ließ, mit dem er Farben wahrnehmen kann (seit Geburt sah er nur schwarz-weiß). Ganz ist klassisch ist der Herzschrittmacher, seit Jahrzehnten hält er in angeschlagenen Menschen die Herzschlagfunktion aufrecht.
In jüngster Vergangenheit wagen sich sogenannte Grinder an mehr. Sie wollen Dinge fühlbar machen, die von Natur aus nicht vorgesehen waren, also über das menschliche hinausgehen. Angefangen hat alles mit Magnetimplantaten unter der Fingerkuppe; mit ihnen kann man mittels einem Kribbeln elektromagnetische Felder erspüren. Man fühlt sich unweigerlich an Science-Fiction-Geschichten erinnert. In dem letzten Ableger der Videospielreihe Deus Ex muss sich der Protagonist an die ihm ungefragt eingepflanzten Implantate gewöhnen, um mit der Welt um ihn herum Schritt zu halten. Das Spiel zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft. Eines, in der Menschen, die maschinelle Verbesserungen im Körper verweigern, untergehen werden. Der gleichen Ansicht ist auch Tim Cannon im Gespräch mit The Verge. Mit dem Unterschied, dass er in der Realität existiert. Zusammen mit anderen Biohackern, wie sich die Tüftler nennen, entwickelte er ein Radarsystem für den Körper. Mit diesem ist es möglich einen Raum mit verbunden Augen zu durchqueren. Cannon hat noch mehr Ideen. Diese sind derzeit schwer umsetzbar, stößt er doch auf große Abneigung gegen chirurgische Eingriffe. Seiner Meinung nach werde sich die Einstellung diesbezüglich aber ändern. „Du wirst es tun, oder du wirst zurückbleiben. Es wird seltsam und ungemütlich werden. Aber entweder machst du mit, oder du könntest bald als veraltet gelten“, sagt er.
Die Vorstellung hinterlässt zurecht einen seltsamen Nachgeschmack. Sind die Menschen bisher nicht oftmals schon mit den uns gegebenen Fähigkeiten überfordert? Und ist es nicht auch die Fragilität, die uns als Mensch ausmacht? Was geschieht mit uns, wenn wir unfehlbar werden, Schmerz nicht mehr als solchen erkennen können? Solche Fragen müssen gestellt werden. Ethik und ein Bewusstsein für den Organismus dürfen nicht zugunsten körpereigener Implantate weichen. Und auch nicht für den Sensorenwahn der Technik-Konzerne. Oder doch?
Ein Bild der Zukunft? Gewisse Gruppen beschäftigen sich schon heute intensiv mit Implantaten zur Verbesserung von motorischen Fähigkeiten. 9to5mac.com
„Wie sich wohl Feuer anfühlt“
Der Einsatz von Sensoren und Implantaten zum Steigern der Lebensqualität von schwerkranken Personen steht außer Frage. Zweifelsohne sind diese „Upgrades“ eine Bereicherung für solche, die ohne kein normales Leben mehr führen könnten. Es ist wie mit allem. Über einen Kamm geschert werden sollte nichts. Und bis zu einem gewissen Punkt ist vieles nachvollziehbar. Ist dieser aber überschritten, winkt nicht selten Gefahr. Was, wenn die Sensortechnik weiter reift und Unternehmen, die sie heute noch in Tablet-PCs verbauen, auf servergestützte Implantate setzen? Man stelle sich vor, wir bekämen von Geburt an ein Frühwarnsystem implantiert, nennen wir es spaßeshalber iWarn. Eines, das uns beispielsweise jegliche Bedrohung anzeigt. Das Kind würde wohl nicht an die heiße Herdplatte fassen – und so schon von klein auf jeglichen Bezug zum eigenen Körper abtrainiert bekommen. Das Schmerzempfinden und der natürliche Instinkt würden mittel- bis langfristig komplett abgeschafft. Und damit auch das Wissen um unsere Grenzen.
Ziemlich sicher sind entsprechende technische Hilfsmittelchen schon von Gruppen wie den Grindern in der Planung. Und wir werden irgendwann vor der Entscheidung stehen ob wir uns von unseren Gefühlen trennen wollen, die ja laut da Vinci auch Leid hervorrufen. Ob wir auf LED-Anzeigen vertrauen möchten, die unter der Hautoberfläche als eine Art subkutanes Display Blutdruck und Körpertemperatur anzeigen. Oder ob wir nicht lieber auf diese unsere innere Stimme hören, die uns seit jeher leitet. Den Spürsinn für Hitze, Kälte und Schmerz. Damit wir Menschen bleiben und eine Welt aus Cyborgs das, was es derzeit ist – eine Vision aus Filmen und Videospielen.
Der Autor wirft an dieser Stelle regelmäßig einen Blick auf Vergangenes und Kommendes. Ob ernst oder luftig – die Kolumne widmet sich interessanten und spannenden Themen, rechnet gerne ab und dichtet noch lieber dazu. Der Apfelblick spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.
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