Als allererstes möchte ich mich beim Threadstarter bedanken, dass er auf diese Thematik aufmerksam gemacht hat. Ich selbst habe davon bisher leider nichts mitbekommen (das kommt davon, wenn man nie fernsieht bzw. im Prüfungsstress steckt), aber Dank des Threads werde ich mich tiefer mit dieser Thematik beschäftigen.
[Bevor jetzt jemand Oberflächlichkeit schreit: Nur, weil ein bestimmtes Thema gerade nicht auf dem Radarschirm von meinereiner ist, heißt das ja nicht, dass man nicht Sinnvolles dazu beitragen kann.]
Mein - positiv verwunderter - Respekt geht an die Atler, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben und Russland nicht sofort in die Ecke "Die Bösen Roten" gestellt haben. Diese Einstellung treffe ich leider sehr selten an, deswegen freue ich mich, dass man zum Teil hier von absoluten Einordnungen abgesehen hat. Natürlich habe ich auch eine Meinung und bin auch voreingenommen (meine Mutter stammt ursprünglich aus Russland und ich habe nach wie vor sehr viel Verwandtschaft dort, bin aber hier geboren und meine Mama hat auch schon seit über 20 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft).
Obwohl ich über das tagesaktuelle politische Geschehen - im Moment - nicht auf dem Laufenden bin, so möchte ich doch einige allgemeine Bemerkungen einwerfen. Ich erlaube mir das einfach einmal aufgrund meiner familiären Bindungen (und damit nicht völliger Unkenntnis) mit Russland.
Die Berichterstattung in den Medien über Russland ist - aus meiner subjektiven Sicht - bedauerlicherweise immer mehr von Ressentiments geprägt, von (mehr oder weniger) subtilen Hinweisen darauf, wie diktatorisch die Regierung ist, wie schlecht es den Menschen gehen würde, die brutal gegen Gegner des Systems vorgegangen wird. Traurigerweise hat man als Normalsterblicher kaum die Chance, sich neutral zu informieren. Die ARD und ZDF (und ich nehme den Rest der öffentlich-rechtlichen nicht aus) verwenden meine GEZ Gebühren leider nicht darauf, mich über alle Aspekte aufzuklären sondern bringen auch nur, was ihnen in den sendungspolitischen Kram passt. Diverse "Magazine", die sich "gründliche Recherchen und Aufdeckung" auf die Fahne geschrieben haben (ich sage nur "Monitor") haben nicht mehr Informationsgehalt als "Explosiv", stellen sich aber als neutral und journalistisch wertvoll hin. Ich mag gar nicht daran denken wie viele Zuschauer auf diesen Deckmantel der Seriösität hereinfallen (und viele vertrauen diesen Sendungen einfach, weil sie aus einer scheinbar seriösen Quelle kommen).
Zurück zur Berichterstattung: Auch unter Berücksichtigung der
Nachrichtenfaktoren (juchu, da macht sich mein Kommunikationswissenschaftsstudium bezahlt) und der wirtschaftlichen Interessen der Sender kann ich es nicht einsehen, warum immer nur über negative Aspekte (Gewalt gegen Demonstranten/Journalisten beispielsweise) berichtet wird und nie (subjektiv gesehen) über positive Aspekte. Mag ja sein, dass diese auch erwähnt werden, dann aber nicht zu einer Sendezeit, zu der ich (und wahrscheinlich auch Otto Normalverbraucher) wach und aufnahmefähig bin. Zudem wird ständig auf die Macht Russlands über Europa verwiesen, weil wir auf ihre Gas/Öllieferungen angewiesen seien. Irgendwann habe ich nicht mehr das Gefühl, dass da mit dem Zaunspfahl gewunken wird - ich habe das Gefühl, als ob man mir den ganzen Zaun über den Kopf zieht! "Habt Angst vor Russland! Sie drehen uns den Gashahn zu! Lasst sie uns ja nicht verärgern!" Als ob die russische Regierung eine Gruppe zickiger Kinder wäre, die sich nicht um außenpolitische Konsequenzen schert und sowas einfach mit einem Land wie Deutschland machen würde (ohne arrogant klingen zu wollen - Deutschland hat aber global betrachtet sehr viel Einfluss und ist ein wichtiger Partner Russlands).
Der ein oder andere wird sich jetzt gefragt haben: Was meint die denn mit 'positiven' Aspekten? Damit meine ich die Lebenssituation der Russen. Natürlich geht es nicht allen gut, natürlich sind nicht alle damit zufrieden, was in ihrem Land passiert. Aber man sollte nicht vergessen, dass es der Masse heute besser geht als vor 10 oder 15 Jahren! Meine Familie, der russische Teil, lobt Putin über alles und hat ihn immer wieder gewählt, weil er Stabilität gebracht hat und Sicherheit. Und das in einem Land, welches Anfang der 90er eher dem Chicago der 1930er Jahre ähnelte als einer zivilisierten Nation.
Das bringt mich zum nächsten Punkt: Mich macht es immer wieder traurig zu sehen, dass viele Menschen nicht anders können als ihre eigenen Wertmaßstäbe in Situationen anzulegen, in denen das einfach nicht geht. Mir passiert das ja auch, aber gerade wenn es um solche Themen geht, sollte man die eigene Position noch mal überdenken und das große Bild betrachten.
Ja, Russland ist nicht in dem Sinne demokratisch, wie wir Demokratie verstehen. Muss es das sein? Muss unsere Vorstellung von Demokratie die einzig richtige sein? Ich wage einfach mal den Vergleich zur amerikanischen Außenpolitik, in der vor einigen Jahren die Auffassung vertreten wurde, dass die Afghanen und die Iraker unendlich dankbar sein würden, dass man ihnen Freiheit und Demokratie a là USA bringen würde. Das Resultat sieht man jeden Tag in den Nachrichten und ganz ehrlich: so richtig geglückt schaut mir diese Operation nicht aus.
Ich sage nicht, dass es OK ist, was Russland (die Regierung) da teilweise fabriziert. Das Beseitigen von Oppositionellen ist furchtbar, das Beschneiden der Pressefreiheit ist bedenklich - aber es kann nicht der Westen sein, der hier kritisch den Finger erhebt (mal ganz abgesehen von diversen Datenspeicherungsgesetzen und Computerausspionierplänen unserer Regierung ... wer im Glashaus sitzt ...). Natürlich kann man seine Bedenken äußern, aber der Umbruch, der Wille zum Wandel und der Wille, sich gegen diese Politik aufzulehnen - der muss von INNEN kommen. Die Russen selbst müssen sich erheben und sagen "Nein, danke, wir möchten eine andere Politik!". Man kann einem Volk keine Ansichten aufzwingen. Meine Verwandten sind zum Teil ganz verwundert über die Reaktionen des Westens. Sie sind zufrieden: es gibt zu Essen, sie haben Arbeit, Medikamente sind da und die Kriminalität ist im Vergleich zu vor 15 Jahren dramatisch gesunken. Sie werden ihre Regierung erst kritisch betrachten, sobald ihr Leben persönlich von der Politik in Moskau negativ betroffen ist. Und wer kann ihnen einen Vorwurf machen? Wer würde denn hierzulande viel anders handeln?
Der Westen kann natürlich einen Beitrag leisten - den Menschen, die im Moment nicht in Russland leben oder arbeiten können, weil die politischen Verhältnisse das nicht erlauben, Zuflucht bieten und die Möglichkeit, von hier aus ihre Landsmänner und -frauen aufzuklären. Trotzdem: Es kann nicht Deutschland, Frankreich, die USA oder wer auch immer sein, der Russland zu einer anderen Politik drängt. Dafür ist Russland zu mächtig, die Russen zu stolz und so etwas hat einfach noch nie dauerhaft funktioniert.
Ganz nebenbei stellt sich mir auch die Frage: Ein Land von den Dimensionen Russlands zu regieren (mit all den Facetten, welche die geographische Ausbreitung mit sich bringt) muss sich doch davon unterscheiden, dieses Fleckchen Deutschland politisch zu führen. Eine 1:1 Übertragung westlichen Demokratieverstädnisses kann also auch an diesem Faktor scheitern - von kulturellen Unterschieden mal abgesehen.
Angesichts der Länge meiner Ausführungen verzichte ich einfach mal darauf, jetzt noch Parallelen zu den USA zu ziehen (von denen ich eigentlich eine ganze Menge sehe) und möchte euch einfach nur noch einmal darum bitten:
Versucht, wenn es um solche Themen geht, einfach mal einen Schritt zurück zu machen und so viele Aspekte wie möglich zu betrachten. Versucht eure eigene Meinung mal in Frage zu stellen und aus der Sicht eines "Gegners" zu argumentieren. Es ist erstaunlich, zu welchen Erkenntnissen man kommt, wenn man sich von gewohnten Denkmustern löst.
(Und ich versuche das auch zu beherzigen, klappt aber nicht immer
)