Gendern ist zwar nur ein Teilaspekt dieses recht spannenden TED Talks, aber ich finde es trotzdem sehr interessant, wie Sprache unser Denken, unsere Wahrnehmung und damit auch die Realität beeinflussen kann. Das wiederum betrifft natürlich auch das Gendern.
Lera Boroditsky ist tendentiell eine Anhängerin der
linguistischen Relativität (aber keine radikale). Wie so oft in diesem Umfeld gibt es Kontroversen unter Wissenschaftlern - nicht um die Beobachtungen, die sind in der Regel objektiv, sondern um deren Interpretation: was ist Ursache, was ist Wirkung? Gibt es eine Kausalbeziehung zwischen Beobachtung A und B? Welche nicht direkt offensichtlichen Faktoren spielen noch eine Rolle?
Generell hat sich die Sprachwissenschaft über die Jahrzehnte mehrheitlich von der Sapir-Whorf-Hypothese abgewandt, was aber nicht bedeutet, dass es nicht auch weiter Anhänger gibt. Ob sie zutreffend ist oder nicht, ist aktuell wohl nicht abschließend zu bewerten. Um zu einer konsolidierten Sicht zu kommen, müsste es einen intensiven Austausch beider Sichtweisen geben. Die Intensität des aktuellen Austausches ist leider eher überschaubar. Die Sapir-Whorf-Hypothese ist bei Linguisten vor allem eine Hypothese, im Bereich der Genderlinguistik aber quasi Evangelium.
Die Frage, auf die es hinausläuft, ist: ist Sprache Ausdruck unseres Denkens, unserer Kultur oder umgekehrt? Vielleicht ja auch beides, aber wenn ja, dann in welchem Ausmaß?
In dem
hier schon mehrfach verlinkten Artikel von Ewa Trutkowski räumt die Autorin den Effekt von Sprache auf das eigene Denken ein, warnt aber davor, ihn zu überbewerten:
Es wäre falsch und unwissenschaftlich, die Existenz von Assoziationseffekten zu leugnen: Dass Genus bestimmte, oft stereotype Assoziationen zum Sexus auslöst, kann man sprachübergreifend feststellen (so assoziierten italienische Probanden bei unbelebten Nomen mit «-a»-Endungen «lieblichere» Vorstellungen als bei welchen mit «-o»-Endungen), es fragt sich allerdings, warum daraus die Notwendigkeit zu gendern folgen sollte, denn ob Wortformen wie «Kosmetiker» oder «Lehrer» generisch oder spezifisch männlich interpretiert werden, hängt von vielen sprachlichen – und aussersprachlichen – Faktoren ab.
Wie schon erwähnt, lebe ich in einem zweisprachigen Haushalt und muss auch arbeitsbedingt zusätzlich noch viel eine dritte Sprache - englisch - verwenden. In meiner sehr multikulturellen Welt fallen mir häufig Mentalitätsunterschiede aus - die sich auch prompt in der Sprache widerspiegeln. Unterscheidet sich beispielsweise die Mentalität der Briten von unserer, weil sie eine Sprache haben, die eine bestimmte Art von Kommunikation fördert, oder haben die Briten ihre Sprache so entwickelt, weil das ihre Mentalität ist?
Lera Boroditsky teilt ja diesen Kontext. Für sie ist Englisch die vierte Sprache. Und in dem hier verlinkten Kurzvortrag drückt sie sich ja auch durchaus vorsichtig aus, erzählt vor allem von interessanten Effekten, Beobachtungen, breitet aber keine "Ursache-Wirkung"-Theorie aus. Das Beispiel, aus welcher Richtung sich die Sonne nähert und wie sich das darauf auswirkt, wie wir Zeit beschreiben, finde ich sehr schön, denn es zeigt, wie sehr unsere Umwelt unser Denken prägt. Die Umwelt können wir nicht formen, die Sprache, mit der wir ihr Ausdruck verleihen, aber schon.
Ich bin nach meiner eigenen Erfahrung (und auch der "meiner" promovierten Linguistin) der festen Überzeugung, dass die Sprache am "Ende der Pipeline" steht. In dem berühmten Beispiel vom Schnee und den Eskimo dürfte eigentlich plausibel sein, dass es nie die Notwendigkeit gegeben hätte, so viele Wörter für "Schnee" zu entwickeln, wenn der nicht bereits eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt hätte.
Und nun nach langer Vorrede zurück zum Gendern: Es ist nach meinem Dafürhalten vollkommen illusorisch, durch gezielte Sprachänderungen die Haltung von Menschen steuern zu wollen. Zum Glück! Denn sonst wären wir eigentlich in einer Orwell-Welt, in der Krieg Frieden ist und Unterdrückung Freiheit.
Was vielleicht in einem sehr kleinen Maßstab hätte funktionieren können, ist zusätzlich noch dadurch torpediert, dass Gender-Aktivisten in den letzten 20 Jahren mit derart viel Druck in den öffentlichen Raum eingedrungen sind und dort ihren Soziolekt etabliert haben, den der Rest der Welt nicht spricht - bis zu dem Punkt, dass es Menschen zusehens nervt. Gerade das führt aber erst zu einer negativen emotionalen Reaktion, durch die der beabsichtigte Effekt schon gar nicht eintreten wird.
Nun werden einige hier wieder argumentieren, dass das ja an den Rechtspopulisten liege, die ja den Menschen eingeredet hätten, dass sie sich dagegen wehren müssten. Hierzu zweierlei: zum Einen sehe ich die wie schon mehrfach geschrieben ebenfalls am "Ende der Pipeline". Populisten greifen sich Themen, die die Menschen beschäftigen und machen damit Politik. Zum Anderen liegt dieser These m.E. der selbe Denkfehler wie der der Idee von der Weltverbesserung durch Gendern zugrunde: man spricht hier den Menschen ein wenig die Fähigkeit des selbständigen Denkens ab. Ja, Menschen können manipulierbar sein. Aber am Ende ist das Ganze immer ein komplexes Gefüge aus Lebenserfahrung, Umgebung, emotionaler Verfassung usw.
Aus meiner Sicht ist das Projekt der Gendersprache bereits gescheitert. Der Widerstand dagegen ist schon jetzt so groß, dass die beabsichtigten Effekte, so klein sie auch ohnehin nur gewesen sein mögen, eigentlich schon nicht mehr erreichbar sind, denn dem arbeitet ganz einfach die bereits dagegen eingestellte Grundeinstellung entgegen.
Ohnehin ist der größte Hebel immer noch, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Dazu kann jeder in seinem eigenen Umfeld etwas beitragen. Vieles passiert aber auch ohnehin schon. Die Frage, ob man bei "Ärzten" oder "Anwälten" Männer oder Frauen oder keines von beidem sieht, beantwortet sich zusehens von selber, weil in diesen Berufen in ein paar Jahren mehr Frauen als Männer arbeiten werden.
Und mit der Wahrnehmung der Realität um uns herum, wird sich auch das Verständnis von Wörtern in unserer Sprache ändern - und damit sicher auch ein natürlicher Sprachwandel, der aber nicht gesteuert und sicher in vielem überraschend ausfallen wird. Und das ist gut so.