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We have lost the war
"Wir haben den Krieg verloren", war wohl der in den Zeitungen, Newspages und Blogs meistzitierte Satz vom 22. Chaos Communication Congress in Berlin. Der Satz wurde gerade von den Reportern, die einfach nur das Programmheft gelesen hatten, vielfach als "die Hacker geben auf" interpretiert - ihr aber wisst es nach der Lektüre dieses Artikels hoffentlich besser
Vom 27. bis 30. Dezember letzten Jahres lud der Chaos Computer Club (CCC) alle interessierten Leute in das Berliner Congress Center am Alexanderplatz zur "europäischen Hackerkonferenz" ein. Dieser martialische Titel wirkt sicher auf einige von euch irritierend. Zumindest im Kontext des Kongresses und dieses Artikels sind mit "Hackern" aber nicht die bösen, allmächtigen Computerfreaks gemeint, die über das Internet Banken ausrauben und Computer-Viren verbreiten, nein, im Kreise des Chaos Computer Clubs ist dies die Bezeichnung für einen interessierten Menschen, der sich verantwortungsbewusst und kritisch mit der Technik auseinandersetzt. Der Kongress war also vor allem eine Zusammenkunft der Datenschützer und Opensourceprogrammierer. Wikipedia und viele andere bekannte Internetprojekte hielten buchstäblich ihre Fahnen hoch.
Der Kongress lässt sich grob in zwei wichtige Bereiche einteilen:
Das Hackcenter und die Projekt/Workshop - Stände in den Gängen und im Keller sowie Vorträge in den einzelnen Sälen des bcc.
Allgemein fiel mir eine hohe Mac-Vereitung unter den Gästen auf. Von überall her leuchteten einen die Äpfel der Power- und iBooks an, weshalb ich mich gleich gut aufgehoben fühlte
Dieses und eine schöne Art&Beauty-Area trugen einen großen Beitrag zur allgemeinen guten Stimmung bei :-D
Das Kongressprogramm, im CCC-Jargon "Fahrplan" genannt, war dick gefüllt: In vier Sälen gleichzeitig fanden jeweils Vorträge zu den verschiedensten Themen statt. Darunter eben auch jener vielzitierte Vortrag "We have lost the war" von Rop Gonggrijp und Frank Rieger. Beide brachten hier die allgemeine Stimmung des Kongresses auf den Punkt.
Trotz aller vorangegangenen Proteste werden derzeit in den meisten westlichen Staaten - auch in Deutschland - sämtliche Überwachungstechniken immer weiter ausgebaut. Ob Internetvorratsdatenspeicherung, Überwachungskameras, Biometrische Pässe, E-Mailüberwachung oder die geplante "Sicherheitstechnische Verwendung der Mautbrücken", man gewinnt an allen Stellen unseres Lebens den Eindruck, der Staat verfällt in eine blinde Überwachungswut, die moralische und technische Probleme einfach ignoriert.
Zum einen stellen alle diese neuen - oder jetzt verstärkt eingesetzten - Technologien einen gigantischen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger dar. Das "Data Mining", also das "Schürfen nach Daten" wird von den Polizeibehörden als eine Art Wunderwaffe im Kampf gegen Terror und alle anderen Verbrechen gesehen. Dass dabei aber die Privatsphäre des einzelnen auf der Strecke bleibt, interessiert die wenigsten. Mit dem Argument "wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu verstecken" wollen die Datensammler alle Gegenstimmen abwimmeln. Dieses Argument greift aber viel zu kurz: Sind es nicht gerade unsere Freiheiten, die unser Leben so angenehm machen? Die Freiheit, nicht bei jeder Geschwindigkeitsübertretung bestraft zu werden? Die Freiheit, sich in der Nase zu popeln, ohne dass ein Polizist auf der anderen Seite der Kamera zuschaut? Die Freiheit, z.B. den Koran lesen zu können, ohne befürchten zu müssen, auf einer Liste der "potentiell Terrorverdächtigen" zu landen? Der niederländische Journalist und Datenschutz-Aktivist Brenno de Winter hat ganz Recht, wenn er die Privatsphäre als "ein Menschenrecht, dass wir verteidigen müssen", bezeichnet.
Die neuen Techniken stellen jeden Bürger unter Generalverdacht und stellen damit die bisherige Maxime der Verbrechensbekämpfung, die Unschuldsvermutung, die ein zentrales Element eines Rechtsstaates ist, auf den Kopf.
Neben dieser gewichtigen moralischen Kritik am "Überwachungsstaat Europa" gibt es noch viele ganz banale, technische Probleme der verwendeten Überwachungstechniken:
Fast alle genannten Überwachungstechnologien können von kundigen Leuten ohne allzu großen Aufwand umgangen werden. Die Techniken treffen also nur den unbedarften Bürger, denn die Leute, die damit eigentlich verfolgt werden sollen, haben in jedem Fall die Mittel, sich vor der Überwachung zu schützen.
Auf dem Kongress stellten die Hacker ihre Forschungsergebnisse zu den einzelnen Techniken vor. Das Ergebnis war ernüchternd: Ob Überwachungskameras oder Internetüberwachung, alle Techniken weisen bei näherem Hinsehen Lücken auf, durch die sie ad absurdum geführt werden. Wer die Tricks kennt, wird von den Überwachungssystemen nicht erkannt. Der Geschädigte ist also allein der Bürger, der im Zuge einer oft sinnlosen Überwachungshysterie immer mehr an Privatsphäre verliert.
Auch ist es ein Trugschluss anzunehmen, durch Überwachungsmaßnahmen Verbrechen verhindern zu können. So berichtete ein Wiener Forschungsteam von den "Erfolgen" der verstärkten Video-Überwachung in ihrer Stadt: Die Drogendealer auf einem bestimmten, neuerdings Videoüberwachten Platz stehen jetzt einfach direkt unter der Kamera, also in deren totem Winkel. Auch die Kamera in einem Schließfachraum (in dem prekärerweise teure Beamer gelagert waren) stellten sich als glatter Fehlgriff heraus. Am Tag nach einem Einbruch konnten die Verantwortlichen auf den Videos einer dunkel gekleideten Gestalt mit schwarzer Baseballmütze zusehen, wie sie gemütlich die Fächer aufbrach und den Inhalt mitnahm. Von der linken Wange des Täters erhielten die Ermittler die wahnsinnige Datenmenge von 20 Pixeln, und noch 5 weitere der Nase des Einbrechers. Bei den Ermittlungen halfen diese Daten rein gar nichts.
Dass die Überwachung nicht nur ein Hirngespinst der "Verschwörungstheoretiker des CCC" und eine aufgebauschte Pseudo-Sensation geltungssüchtiger Datenschützer ist, zeigen auch die Überlegungen kritischer Personen und Journalisten, die unabhängig vom Chaos Communication Congress zu ähnlichen Schlüssen kommen. Die Süddeutsche Zeitung etwa reservierte in ihrer Wochenendausgabe vom 7. Januar dem Thema Überwachung zwei Seiten des Feuilletons.
Haben die Hacker aber nun den Krieg verloren?
Der viel zitierte Satz war von den beiden Hackern bewusst als Provokation gegen die Kongressteilnehmer angelegt, um sie wachzurütteln und aufzufordern, gegen die neuen Überwachungstechniken vorzugehen. Um das erfolgreich tun zu können, müssen wir aber auch erkennen, dass die Proteste bisher den Trend nicht aufhalten konnten. Nun stehen wir an dem Punkt, den die Datenschützer dieser Welt befürchtet haben: Die Überwachung der einzelnen Bürger, wie sie in Ländern wie den Vereinigten Staaten oder auch den Niederlanden schon Realität ist, wird nun auch bei uns ihren Einzug finden.
Der Tenor des Kongresses war also vor allem: "Wir haben den Krieg verloren, aber jetzt beginnt die zweite Runde".
Der Protest gegen den Überwachungsstaat darf aber nicht Sache der Hacker und Datenschützer alleine bleiben. Wir dürfen uns nicht ausruhen und denken, "die machen das schon", sondern jeder einzelne ist dazu aufgefordert, seine Stimme gegen die neue Kontrollwut der Behörden zu erheben.
"Wir haben den Krieg verloren", war wohl der in den Zeitungen, Newspages und Blogs meistzitierte Satz vom 22. Chaos Communication Congress in Berlin. Der Satz wurde gerade von den Reportern, die einfach nur das Programmheft gelesen hatten, vielfach als "die Hacker geben auf" interpretiert - ihr aber wisst es nach der Lektüre dieses Artikels hoffentlich besser

Vom 27. bis 30. Dezember letzten Jahres lud der Chaos Computer Club (CCC) alle interessierten Leute in das Berliner Congress Center am Alexanderplatz zur "europäischen Hackerkonferenz" ein. Dieser martialische Titel wirkt sicher auf einige von euch irritierend. Zumindest im Kontext des Kongresses und dieses Artikels sind mit "Hackern" aber nicht die bösen, allmächtigen Computerfreaks gemeint, die über das Internet Banken ausrauben und Computer-Viren verbreiten, nein, im Kreise des Chaos Computer Clubs ist dies die Bezeichnung für einen interessierten Menschen, der sich verantwortungsbewusst und kritisch mit der Technik auseinandersetzt. Der Kongress war also vor allem eine Zusammenkunft der Datenschützer und Opensourceprogrammierer. Wikipedia und viele andere bekannte Internetprojekte hielten buchstäblich ihre Fahnen hoch.
Der Kongress lässt sich grob in zwei wichtige Bereiche einteilen:
Das Hackcenter und die Projekt/Workshop - Stände in den Gängen und im Keller sowie Vorträge in den einzelnen Sälen des bcc.
Allgemein fiel mir eine hohe Mac-Vereitung unter den Gästen auf. Von überall her leuchteten einen die Äpfel der Power- und iBooks an, weshalb ich mich gleich gut aufgehoben fühlte

Dieses und eine schöne Art&Beauty-Area trugen einen großen Beitrag zur allgemeinen guten Stimmung bei :-D
Das Kongressprogramm, im CCC-Jargon "Fahrplan" genannt, war dick gefüllt: In vier Sälen gleichzeitig fanden jeweils Vorträge zu den verschiedensten Themen statt. Darunter eben auch jener vielzitierte Vortrag "We have lost the war" von Rop Gonggrijp und Frank Rieger. Beide brachten hier die allgemeine Stimmung des Kongresses auf den Punkt.
Trotz aller vorangegangenen Proteste werden derzeit in den meisten westlichen Staaten - auch in Deutschland - sämtliche Überwachungstechniken immer weiter ausgebaut. Ob Internetvorratsdatenspeicherung, Überwachungskameras, Biometrische Pässe, E-Mailüberwachung oder die geplante "Sicherheitstechnische Verwendung der Mautbrücken", man gewinnt an allen Stellen unseres Lebens den Eindruck, der Staat verfällt in eine blinde Überwachungswut, die moralische und technische Probleme einfach ignoriert.
Zum einen stellen alle diese neuen - oder jetzt verstärkt eingesetzten - Technologien einen gigantischen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger dar. Das "Data Mining", also das "Schürfen nach Daten" wird von den Polizeibehörden als eine Art Wunderwaffe im Kampf gegen Terror und alle anderen Verbrechen gesehen. Dass dabei aber die Privatsphäre des einzelnen auf der Strecke bleibt, interessiert die wenigsten. Mit dem Argument "wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu verstecken" wollen die Datensammler alle Gegenstimmen abwimmeln. Dieses Argument greift aber viel zu kurz: Sind es nicht gerade unsere Freiheiten, die unser Leben so angenehm machen? Die Freiheit, nicht bei jeder Geschwindigkeitsübertretung bestraft zu werden? Die Freiheit, sich in der Nase zu popeln, ohne dass ein Polizist auf der anderen Seite der Kamera zuschaut? Die Freiheit, z.B. den Koran lesen zu können, ohne befürchten zu müssen, auf einer Liste der "potentiell Terrorverdächtigen" zu landen? Der niederländische Journalist und Datenschutz-Aktivist Brenno de Winter hat ganz Recht, wenn er die Privatsphäre als "ein Menschenrecht, dass wir verteidigen müssen", bezeichnet.
Die neuen Techniken stellen jeden Bürger unter Generalverdacht und stellen damit die bisherige Maxime der Verbrechensbekämpfung, die Unschuldsvermutung, die ein zentrales Element eines Rechtsstaates ist, auf den Kopf.
Neben dieser gewichtigen moralischen Kritik am "Überwachungsstaat Europa" gibt es noch viele ganz banale, technische Probleme der verwendeten Überwachungstechniken:
Fast alle genannten Überwachungstechnologien können von kundigen Leuten ohne allzu großen Aufwand umgangen werden. Die Techniken treffen also nur den unbedarften Bürger, denn die Leute, die damit eigentlich verfolgt werden sollen, haben in jedem Fall die Mittel, sich vor der Überwachung zu schützen.
Auf dem Kongress stellten die Hacker ihre Forschungsergebnisse zu den einzelnen Techniken vor. Das Ergebnis war ernüchternd: Ob Überwachungskameras oder Internetüberwachung, alle Techniken weisen bei näherem Hinsehen Lücken auf, durch die sie ad absurdum geführt werden. Wer die Tricks kennt, wird von den Überwachungssystemen nicht erkannt. Der Geschädigte ist also allein der Bürger, der im Zuge einer oft sinnlosen Überwachungshysterie immer mehr an Privatsphäre verliert.
Auch ist es ein Trugschluss anzunehmen, durch Überwachungsmaßnahmen Verbrechen verhindern zu können. So berichtete ein Wiener Forschungsteam von den "Erfolgen" der verstärkten Video-Überwachung in ihrer Stadt: Die Drogendealer auf einem bestimmten, neuerdings Videoüberwachten Platz stehen jetzt einfach direkt unter der Kamera, also in deren totem Winkel. Auch die Kamera in einem Schließfachraum (in dem prekärerweise teure Beamer gelagert waren) stellten sich als glatter Fehlgriff heraus. Am Tag nach einem Einbruch konnten die Verantwortlichen auf den Videos einer dunkel gekleideten Gestalt mit schwarzer Baseballmütze zusehen, wie sie gemütlich die Fächer aufbrach und den Inhalt mitnahm. Von der linken Wange des Täters erhielten die Ermittler die wahnsinnige Datenmenge von 20 Pixeln, und noch 5 weitere der Nase des Einbrechers. Bei den Ermittlungen halfen diese Daten rein gar nichts.
Dass die Überwachung nicht nur ein Hirngespinst der "Verschwörungstheoretiker des CCC" und eine aufgebauschte Pseudo-Sensation geltungssüchtiger Datenschützer ist, zeigen auch die Überlegungen kritischer Personen und Journalisten, die unabhängig vom Chaos Communication Congress zu ähnlichen Schlüssen kommen. Die Süddeutsche Zeitung etwa reservierte in ihrer Wochenendausgabe vom 7. Januar dem Thema Überwachung zwei Seiten des Feuilletons.
Haben die Hacker aber nun den Krieg verloren?
Der viel zitierte Satz war von den beiden Hackern bewusst als Provokation gegen die Kongressteilnehmer angelegt, um sie wachzurütteln und aufzufordern, gegen die neuen Überwachungstechniken vorzugehen. Um das erfolgreich tun zu können, müssen wir aber auch erkennen, dass die Proteste bisher den Trend nicht aufhalten konnten. Nun stehen wir an dem Punkt, den die Datenschützer dieser Welt befürchtet haben: Die Überwachung der einzelnen Bürger, wie sie in Ländern wie den Vereinigten Staaten oder auch den Niederlanden schon Realität ist, wird nun auch bei uns ihren Einzug finden.
Der Tenor des Kongresses war also vor allem: "Wir haben den Krieg verloren, aber jetzt beginnt die zweite Runde".
Der Protest gegen den Überwachungsstaat darf aber nicht Sache der Hacker und Datenschützer alleine bleiben. Wir dürfen uns nicht ausruhen und denken, "die machen das schon", sondern jeder einzelne ist dazu aufgefordert, seine Stimme gegen die neue Kontrollwut der Behörden zu erheben.
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