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Liebe ApfeltalkerInnen!
Seit ein paar Tagen treibt mich ganz erheblich die Geschichte mit Murat Kurnaz um, dem Türken aus Bremen, der jahrelang unschuldig in Guantanamo gesessen hat. Er ist bei "Beckmann" aufgetreten und seine erschütternde Leidensgeschichte erzählt. Nachdem er letzte Woche vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss aufgetreten ist, fallen die Medien über die rot-grüne Bundesregierung her, die angeblich verhindert hat, dass er nach Deutschland zurückkehren kann.
Ich habe dazu drei Gedanken, die ich hier einfach mal zur Diskussion stellen will:
1) Mir ist bisher nicht klar, warum er nicht freigekommen ist. In der Presse wird so getan, als sei die Bundesregierung schuld, weil sie 2002 entschieden hat, dass er im Falle einer Freilassung nicht nach Deutschland einreisen soll. Begründung damals: Terrorverdacht. Aber es waren doch die Amerikaner, die ihn nicht freigelassen haben! Der Fall, für den die Einreiseverweigerung gedacht war, ist doch gar nicht eingetreten! Es kann doch nicht die Schuld der Bundesregierung sein, wenn die USA ein perverses Gefangenenlager betreiben und aus mir unerfindlichen Gründen jemanden, von dessen Unschuld sie selbst überzeugt sind, nicht freilassen. Man könnte jetzt natürlich spekulieren, die USA hätten ihn festgehalten, weil es die Deutschen so wollten, aber diese Behauptung habe ich noch nirgendwo gelesen.
2) Was ist daran so schlimm, eine Freilassung nur in die Türkei befürwortet zu haben? Seit Jahren diskutieren wir, ob die Türkei nicht in die EU soll, das ist ja kein Folterstaat. Kurnaz hatte dort seine Frau, habe ich heute gelesen. Und sogar Joschka Fischer hat sich für eine Freilassung von Kurnaz eingesetzt. Wenn es wirklich nicht OK war, ihm die Einreise nach Deutschland nicht zu gestatten (dazu noch gleich), dann hätte er auf dem Gerichtswege die Einreise erstreiten können, so wie es ja auch von Guantanamo aus geschehen ist: Ein Gericht hat entschieden, dass seine Aufenthaltserlaubnis entgegen der Auffassung der Bundesregierung nicht abgelaufen war, sondern noch bestand. Das hätte doch auch von der Türkei aus erstritten werden können.
3) Ich verstehe nicht, warum sich Presse und so viele Politiker jetzt so ereifern. Die Doppelmoral, die sie der alten Bundesregierung vorwerfen, die müssten sie sich doch auch selbst vorwerfen. Bevor ich Kurnaz im Fernsehen erlebte, ein Opfer, dem übel mitgespielt worden ist, da dachte ich mir auch: Warum muss der zu uns? Es hat sicher einen Grund, dass ihn die USA in Guantanamo festhalten. Auch wenn er kein Taliban-Kämpfer ist, wer gibt uns die Garantie, dass er nicht als Hassprediger durch die Moscheen zieht? Gerade weil er in Guantanamo gefoltert worden ist, muss er doch voller Hass sein. Also belästigt uns nicht mit dem. Zugleich dachte ich aber auch: Arme Sau! Lasst ihn doch aus Guantanamo raus!
Der Anti-Terror-Kampf hat sicher auch seine "Kollateralschäden" (gruseliges Wort). Die CDU hat 2002 die Ausweisung von "gefährlichen" 4000 Ausländern gefordert. Da waren sicher einige drunter, die in Folterstaaten hätten zurückkehren müssen. Wir schieben auch abgelehnte Asylbewerber nach Togo ab. Da regt sich keiner auf. Da fällt mir auch der 2. Weltkrieg ein, wo die Alliierten auch schlimme Dinge (Bombardierung deutscher Städte) begangen haben, obwohl der Krieg gegen Hitler aufgezwungen und notwendig war. Und ich denke an den Zusammenhang zwischen Macht und Moral. Es ist unmöglich, wenn ich entscheiden muss, dass ich immer gerecht entscheide. Jeder Richter hat das Problem, dass seine Urteile der einen oder anderen Seite ungerecht erscheinen. Im Endeffekt ist Kurnaz ungerecht behandelt worden, ja. Aber auch Hartz IV ist ungerecht und die Gesundheitsreform auch. Unser ganzen Wirtschaftssystem, die Ausbeutung des Planeten und der Menschen in der Dritten Welt ist ungerecht! Immer gibt es Opfer, zum Beispiel in den Slums in Brasilien.
Soweit meine Gedanken zu früher Stunde (habe gestern noch eine Diskussionsrunde dazu auf Phönix gesehen, nur einer von fünf verteidigte Steinmeier, das hat mir zu denken gegeben - allerdings in die Richtung: Ich hätte wohl genauso gehandelt wie er!). Im Übrigen halte ich es für absurd, dass eine Bundesregierung ein zynisches, perfides und inhumanes Komplott gegen einen Türken ausheckt. Das klingt mir doch sehr nach Verleumdungskampagne.
Seien wir froh, dass wir bis jetzt keinen islamistischen Terror in Deutschland erlebt haben, sonst würden wir ganz anders diskutieren!
Peace
H.
Seit ein paar Tagen treibt mich ganz erheblich die Geschichte mit Murat Kurnaz um, dem Türken aus Bremen, der jahrelang unschuldig in Guantanamo gesessen hat. Er ist bei "Beckmann" aufgetreten und seine erschütternde Leidensgeschichte erzählt. Nachdem er letzte Woche vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss aufgetreten ist, fallen die Medien über die rot-grüne Bundesregierung her, die angeblich verhindert hat, dass er nach Deutschland zurückkehren kann.
Ich habe dazu drei Gedanken, die ich hier einfach mal zur Diskussion stellen will:
1) Mir ist bisher nicht klar, warum er nicht freigekommen ist. In der Presse wird so getan, als sei die Bundesregierung schuld, weil sie 2002 entschieden hat, dass er im Falle einer Freilassung nicht nach Deutschland einreisen soll. Begründung damals: Terrorverdacht. Aber es waren doch die Amerikaner, die ihn nicht freigelassen haben! Der Fall, für den die Einreiseverweigerung gedacht war, ist doch gar nicht eingetreten! Es kann doch nicht die Schuld der Bundesregierung sein, wenn die USA ein perverses Gefangenenlager betreiben und aus mir unerfindlichen Gründen jemanden, von dessen Unschuld sie selbst überzeugt sind, nicht freilassen. Man könnte jetzt natürlich spekulieren, die USA hätten ihn festgehalten, weil es die Deutschen so wollten, aber diese Behauptung habe ich noch nirgendwo gelesen.
2) Was ist daran so schlimm, eine Freilassung nur in die Türkei befürwortet zu haben? Seit Jahren diskutieren wir, ob die Türkei nicht in die EU soll, das ist ja kein Folterstaat. Kurnaz hatte dort seine Frau, habe ich heute gelesen. Und sogar Joschka Fischer hat sich für eine Freilassung von Kurnaz eingesetzt. Wenn es wirklich nicht OK war, ihm die Einreise nach Deutschland nicht zu gestatten (dazu noch gleich), dann hätte er auf dem Gerichtswege die Einreise erstreiten können, so wie es ja auch von Guantanamo aus geschehen ist: Ein Gericht hat entschieden, dass seine Aufenthaltserlaubnis entgegen der Auffassung der Bundesregierung nicht abgelaufen war, sondern noch bestand. Das hätte doch auch von der Türkei aus erstritten werden können.
3) Ich verstehe nicht, warum sich Presse und so viele Politiker jetzt so ereifern. Die Doppelmoral, die sie der alten Bundesregierung vorwerfen, die müssten sie sich doch auch selbst vorwerfen. Bevor ich Kurnaz im Fernsehen erlebte, ein Opfer, dem übel mitgespielt worden ist, da dachte ich mir auch: Warum muss der zu uns? Es hat sicher einen Grund, dass ihn die USA in Guantanamo festhalten. Auch wenn er kein Taliban-Kämpfer ist, wer gibt uns die Garantie, dass er nicht als Hassprediger durch die Moscheen zieht? Gerade weil er in Guantanamo gefoltert worden ist, muss er doch voller Hass sein. Also belästigt uns nicht mit dem. Zugleich dachte ich aber auch: Arme Sau! Lasst ihn doch aus Guantanamo raus!
Der Anti-Terror-Kampf hat sicher auch seine "Kollateralschäden" (gruseliges Wort). Die CDU hat 2002 die Ausweisung von "gefährlichen" 4000 Ausländern gefordert. Da waren sicher einige drunter, die in Folterstaaten hätten zurückkehren müssen. Wir schieben auch abgelehnte Asylbewerber nach Togo ab. Da regt sich keiner auf. Da fällt mir auch der 2. Weltkrieg ein, wo die Alliierten auch schlimme Dinge (Bombardierung deutscher Städte) begangen haben, obwohl der Krieg gegen Hitler aufgezwungen und notwendig war. Und ich denke an den Zusammenhang zwischen Macht und Moral. Es ist unmöglich, wenn ich entscheiden muss, dass ich immer gerecht entscheide. Jeder Richter hat das Problem, dass seine Urteile der einen oder anderen Seite ungerecht erscheinen. Im Endeffekt ist Kurnaz ungerecht behandelt worden, ja. Aber auch Hartz IV ist ungerecht und die Gesundheitsreform auch. Unser ganzen Wirtschaftssystem, die Ausbeutung des Planeten und der Menschen in der Dritten Welt ist ungerecht! Immer gibt es Opfer, zum Beispiel in den Slums in Brasilien.
Soweit meine Gedanken zu früher Stunde (habe gestern noch eine Diskussionsrunde dazu auf Phönix gesehen, nur einer von fünf verteidigte Steinmeier, das hat mir zu denken gegeben - allerdings in die Richtung: Ich hätte wohl genauso gehandelt wie er!). Im Übrigen halte ich es für absurd, dass eine Bundesregierung ein zynisches, perfides und inhumanes Komplott gegen einen Türken ausheckt. Das klingt mir doch sehr nach Verleumdungskampagne.
Seien wir froh, dass wir bis jetzt keinen islamistischen Terror in Deutschland erlebt haben, sonst würden wir ganz anders diskutieren!
Peace
H.