Ich gebe zu: Den ganzen Thread habe ich mir nicht angetan, aber das ist ja auch ein sehr emotionales Thema, wo sicher viele doch recht ähnliche Meinungen zu Tage kommen.
Als Lehramtsstudent interessiert mich der angebliche "Trend", der immer wieder beobachtet werden will doch sehr. Fakt ist: Schon in der Antike meckerte die ältere Generation mit fast identischen Argumenten, wie sie heute in der Diskussion vorgebracht werden über die jüngere Generation. Die Kontroverse, die sich ergibt scheint also ganz und gar nicht neu zu sein. Die Frage ist nur, ob die Entwicklung wirklich pauschal als solche bezeichnet werden kann und wo denn dann ihre Gründe sind.
Aus meiner ersten Praxisphase, die ich gerade an einer Gesamtschule in einem der mieseren Stadtviertel einer Ruhrmetropole beschreite, weiss ich, dass Kinder extrem sein können. Der eine schlägt minutenlang seinen Kopf auf den Tisch, der andere verprügelt alles was sich ihm auf weniger als einen halben Meter nähert und der Dritte drängt sich in den Vordergrund um Lehrers Liebling zu sein - auch wenn er dabei elementare "Gesprächsregeln" verletzt. Das alles spielt sich bereits in den unteren Klassen ab, kommt aber nicht von ungefähr. Aus Gesprächen mit Lehrern, die sich angagieren, erfährt man dann nach dem anfänglichen Schock, dass die Mutter des einen während der Schwangerschaft drogenabhängig war, dass der Vater des anderen im Knast sitzt und er diesen abgrundtief hasst und der Dritte zu Hause den ganzen Tag allein ist und sich seine Aufmerksamkeit eben beim Lehrer abholen muss.
Wie geht man dann mit soetwas um? Ist es einem einzelnen Lehrer überhaupt möglich, die Kinder noch halbwegs zu einem erfolgreichen Leben in der Gesellschaft zu verhelfen? Ich denke solange man die Eltern nicht ins Boot bekommt und unsere Schulen weiterhin so unterfinanziert sind, wird da nix draus werden.
Was die Umschichtung an den Schulformen angeht muss ich da leider zustimmen. Knapp und etwas subjektiv markiert könnte man sagen, dass die Gymnasien die neuen Gesamtschulen sind, die Gesamtschulen schlechtere Hauptschulen sind und dass die Hauptschule zumindest in praktisch orientierten Fächern mindestens Realschul-Niveau erreicht. Das Problem der Gesamtschulen ist aber wohl eher ihr eigener Anspruch, der heute mit den falschen Mitteln versucht wird umzusetzen. "Jeder schafft hier das Abitur." ist da der wichtigste Punkt, denn seit dem das Sitzenbleiben in der Realität abgeschafft wurde (vgl. No child left behind in USA), kommt es an Gesamtschulen immer wieder dazu, dass selbst sehr schlechte Schüler bis vor die zentralen Prüfungen kommen und ihnen dann ins Gesicht geschlagen wird, in dem sie gnadenlos durch diese durchfallen. Lehrer an Gesamtschulen hatten noch vor kurzem sogar Quoten, die sie zu erfüllen hatten, mag ihre Klasse auch noch so schlecht sein. Hier wird also lieber die Statistik bearbeitet, als auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes eingegangen, was absolut kontraproduktiv ist.
Um nochmal auf die allgemeine Diskussion zurück zu kommen:
Meist ist es doch so, dass Eltern es auf die Lehrer und Schulen schieben ("Der sieht mein Kind länger am Tag als ich, wann soll ich es denn dann noch erziehen?") und Lehrer schieben es auf die Eltern ("Erziehung ist nicht Sache der Schulen."). Meine Meinung ist, dass beide "schuld" haben und beide zusammen etwas ändern müssen.
Der oft so kritisierte Fernsehkonsum von kleinen Kindern beispielsweise ist ein Anknüpfungspunkt. Es ist mittlerweile erwiesen, dass es nicht unbedingt darauf ankommt was und wie lange ein Kind Fernsehen schaut, sondern wie. Setzen Eltern ihren Fernseher als Babysitter ein ist das absolut schädlich fürs Kind, sitzen aber Eltern und Kind gemeinsam vor der Glotze und unterhalten sich drüber, so kann Fernsehen sogar Förderung für das Knd bedeuten, wie es sonst beim gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern vorkommt. Studien haben allerdings auch gezeigt, dass Kinder, die früh viel fernsehen eine weitaus geringere Chance auf eine akademische Laufbahn haben, als andere (Achtung: Studien sind meist nur deskriptiv und auch hier ist nur die Korrelation zwischen Fernsehschauen und akademischer Laufbahn ermittelt worden, nicht aber ein direkter Zusammenhang).
Lehrer hingegen sollten sich erstmal davon verabschieden Lehrer werden zu wollen um Beamte zu werden oder des Gehalts wegen. Der Beruf des Lehrers ist ein Knochenjob, wenn man also mit den falschen Motiven dabei ist, hat man schneller Burnout o.ä. als man "Gehaltscheck" sagen kann. Ausgebrannte Lehrer sind selten auch gute Lehrer.
Der Dritte Mitspieler ist der Staat. Ich verstehe nicht, wieso Banken mit mehreren Milliarden schnell mal gerettet werden können, die sich im Grunde selbstverschuldet in den Ruin getrieben haben oder warum der zweitgrößte Posten unserer Staatsausgaben Millitär sein muss, welches fast ausschließlich im Ausland zum Einsatz kommt, sich gleichzeitig aber gewundert wird, dass Kinder in 30-Mann Klassen auf kaputten Stühlen mit 60 Jahre alten Lehrern, die seit 30 Jahren keine Fortbildung mehr hatten schlecht bei PISA abschneiden. Wenn die eigene Küche brennt, brauche ich nicht auf die Einbrecher beim Nachbarn schießen um das Haus zu schützen.
Auf jeden Fall ist es nicht nur ein Faktor, der dazu führt, dass Kinder sind wie sie sind.