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„Hast du schon das Neuste gehört? Der Michel hat gestern mit der Julia rumgeknutscht!“ Dabei haben Michel und Julia doch wirklich nur für die Mathearbeit gelernt. Die Wahrheit aber, die interessiert jetzt keinen mehr. Jeder hat schon selbst erlebt, wie Hörgesagtes die Umwelt beeinflussen kann. In der Schule sorgte so etwas höchstens für kleine Reibereien. In einem kapitalistischem System kann vermeintlich unschuldiges Gemunkel über neue Produkte, Strategien und Pläne einem Unternehmen Millionen einbringen – oder es in den Bankrott treiben. Analysten ändern mit diesem Wissen die Regeln der Marktwirtschaft. Jedoch: Die wichtigste Figur auf diesem Spielfeld – gerade wenn es um Apple geht – sind wir selbst. [prbreak][/prbreak]
Ach, sag bloß?
Woher kommt sie eigentlich, unsere unbändige Neugier? Der Hunger nach Sensationen und Skandalen ist tief in uns verwurzelt. Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte sorgen Gerüchte für Leid, etwa wenn sie politische und militärische Folgen mit sich zogen, oder für Freude, wenn es harmloser Klatsch und Tratsch war. Man stelle sich vor, wie Frauen früher die nasse Wäsche mit einem klatschenden Geräusch gegen Steine klopften – und nebenher den anderen das „Neuste“ erzählte. Gewisse Flecke auf der Bettwäsche sprachen schließlich schon damals für sich. So soll es gewesen sein, munkelt man, so entstand der Begriff der „Klatsch-Weiber“.
Die Frage, ob man Personen kennt, auf die diese Bezeichnung zutrifft, kann ein jeder vielleicht mit einem mehr oder weniger entspannten Rückblick beantworten, definitiv aber mit einem Ja. Ob in der Schule, der Uni oder dem Büro: Die Gerüchtestreuer gibt es überall. Auch bösartige Absichten können dahinter stecken, strategisch platziert wandeln sich harmlose Geschichten schnell zu Mobbing. Meistens jedoch handelt es sich bei Tatsachenbehauptungen in gerade genanntem Umfeld eher um Belangloses. Ganz anders verhält es sich, wenn es um Geld geht – in der Marktwirtschaft, wo Unternehmen darauf angewiesen sind, Umsatz zu machen. Lancierte Meldungen können Aktienkurse, für den Moment, ins Unermessliche steigen lassen. Oder sie in den Keller befördern. Und dann verdient nur einer an der Nachricht: Der Börsen-Analyst, der sie verbreitet hat. Denn egal ob dem Ganzen eine realistische Einschätzung vorneweg geht, oder eine an den Haaren herbei gezogene – seinem Gehaltszettel ist das egal. Den bekommt er nämlich trotzdem.
Ich habe keins, also nehm’ ich mir deins
Aktienresearch boomt. Es sind meist junge Menschen, die sich Analysten nennen. Die fegen den Arbeitsmarkt leer und verdienen Traumgehälter. Weil sie mit Argumenten spielen können. Aber auch weil sie nicht über eigenes Geld verwalten, sondern über das von anderen. Tätig sind sie für Investment-Banken wie etwa Goldman & Sachs, zu den „Kunden“ zählen die ganz Großen, aber auch Kleinanleger. Die tragen jederzeit das ganze Risiko und wundern sich dann, wenn der Analyst zwar im Schnitt höhere Erträge erzielt hat – aber eben nur für sich selbst. Die Gewinnbeteiligung, die den Anlegern abgenommen wird, macht den zusätzlichen Erlös meistens ohnehin zunichte. Woher nimmt der gemeine Analyst aber das Recht, sich überhaupt so zu nennen, über Wohl und Unwohl der Finanzlage zu herrschen? Formal gibt es einen hohen Bildungsstand, ohne einschlägige Erfahrung im Analysebereich geht wenig. Die ziehen die Meisten aus Tätigkeiten bei Banken, wo sie mit Kreditgeschäften und Bilanzanalyse zu tun hatten. Ist die Wall Street dann erreicht, leben frisch eingestellte Analysten von dem Futter, das ihnen vom Volk zugeworfen wird.
Was kommen soll, wird kommen
Bewegt man sich auf dem Gebiet von Apple, und allem was die Firma so hinter sich herzieht, sind interessante Vorgänge zu beobachten: Wenn beispielsweise ein bekannter Mitarbeiter die Firma verlässt, ein Neuer hinzukommt oder neue Gerätschaften anstehen. Die Produkt-Zyklen sind ja mittlerweile bekannt. Neues Jahr, selbe Zeit: Irgendjemand hat verheißungsvolles prophezeit, schlimmer, ein Bild oder Video von Bauteilen neuer iDevices hochgeladen. Aktuelles Beispiel: Das iPhone 6. Die Presse klammert sich an jedes noch so kleine Ästchen, die Fans drehen durch, diskutieren und fachsimpeln über Realitätsgehalt von Meldungen, der irgendwann aber auch nicht mehr wichtig ist. So entsteht eine gewisse Erwartungshaltung. „Wenn die das jetzt nicht endlich bringen...“, dürften sich viele schon häufiger gedacht haben. Das geht natürlich auch an Apple nicht vorbei, der Kunde muss ja befriedigt werden. So schnell ist aus einem kleinen Gerücht eine Messlatte geworden – und das Unternehmen täte gut daran, zu liefern.
Natürlich verbreiten sich Apple-Gerüchte auch über andere Kanäle als nur über Analystenspekulationen. pcmag
Das ist unser Beitrag zur Produktpalette Apples. Und er ist unmittelbarer, als man annehmen könnte. Unser Interesse, unser Wunschdenken oder die Angst, etwas nicht so zu bekommen, wie wir es gerne hätte, nährt den Analysten. Der wiederrum lässt vom Stapel, was kommen soll, damit wir zufrieden sind – aber auch die Anleger. Daran müssen sich Unternehmen, gerade Apple, halten. Wenn man so will, üben wir mit unserem Verhalten Druck auf das Unternehmen aus, während wir den jungen Börsenanalysten Luft lassen. Ändern wird sich das nicht, warum auch. Alle bekommen ja, nach was ihnen dürstet: Der Analyst darf mit fremden Geldern wirtschaften; Apple weiß, was die Käufer wollen, und wir – wir haben das jüngste Gerücht, das uns bei Laune halten wird. Wahrheit hin oder her.
Der Autor wirft an dieser Stelle regelmäßig einen Blick auf Vergangenes und Kommendes. Ob ernst oder luftig – die Kolumne widmet sich interessanten Themen, rechnet gerne ab und dichtet noch lieber dazu. Der Apfelblick spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.
"Weißt du schon das Neuste?" Clipart
Ach, sag bloß?
Woher kommt sie eigentlich, unsere unbändige Neugier? Der Hunger nach Sensationen und Skandalen ist tief in uns verwurzelt. Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte sorgen Gerüchte für Leid, etwa wenn sie politische und militärische Folgen mit sich zogen, oder für Freude, wenn es harmloser Klatsch und Tratsch war. Man stelle sich vor, wie Frauen früher die nasse Wäsche mit einem klatschenden Geräusch gegen Steine klopften – und nebenher den anderen das „Neuste“ erzählte. Gewisse Flecke auf der Bettwäsche sprachen schließlich schon damals für sich. So soll es gewesen sein, munkelt man, so entstand der Begriff der „Klatsch-Weiber“.
Die Frage, ob man Personen kennt, auf die diese Bezeichnung zutrifft, kann ein jeder vielleicht mit einem mehr oder weniger entspannten Rückblick beantworten, definitiv aber mit einem Ja. Ob in der Schule, der Uni oder dem Büro: Die Gerüchtestreuer gibt es überall. Auch bösartige Absichten können dahinter stecken, strategisch platziert wandeln sich harmlose Geschichten schnell zu Mobbing. Meistens jedoch handelt es sich bei Tatsachenbehauptungen in gerade genanntem Umfeld eher um Belangloses. Ganz anders verhält es sich, wenn es um Geld geht – in der Marktwirtschaft, wo Unternehmen darauf angewiesen sind, Umsatz zu machen. Lancierte Meldungen können Aktienkurse, für den Moment, ins Unermessliche steigen lassen. Oder sie in den Keller befördern. Und dann verdient nur einer an der Nachricht: Der Börsen-Analyst, der sie verbreitet hat. Denn egal ob dem Ganzen eine realistische Einschätzung vorneweg geht, oder eine an den Haaren herbei gezogene – seinem Gehaltszettel ist das egal. Den bekommt er nämlich trotzdem.
Der mit dem Geld tanzt: Analysten verwalten über fremdes Kapital. thebusyba.com
Ich habe keins, also nehm’ ich mir deins
Aktienresearch boomt. Es sind meist junge Menschen, die sich Analysten nennen. Die fegen den Arbeitsmarkt leer und verdienen Traumgehälter. Weil sie mit Argumenten spielen können. Aber auch weil sie nicht über eigenes Geld verwalten, sondern über das von anderen. Tätig sind sie für Investment-Banken wie etwa Goldman & Sachs, zu den „Kunden“ zählen die ganz Großen, aber auch Kleinanleger. Die tragen jederzeit das ganze Risiko und wundern sich dann, wenn der Analyst zwar im Schnitt höhere Erträge erzielt hat – aber eben nur für sich selbst. Die Gewinnbeteiligung, die den Anlegern abgenommen wird, macht den zusätzlichen Erlös meistens ohnehin zunichte. Woher nimmt der gemeine Analyst aber das Recht, sich überhaupt so zu nennen, über Wohl und Unwohl der Finanzlage zu herrschen? Formal gibt es einen hohen Bildungsstand, ohne einschlägige Erfahrung im Analysebereich geht wenig. Die ziehen die Meisten aus Tätigkeiten bei Banken, wo sie mit Kreditgeschäften und Bilanzanalyse zu tun hatten. Ist die Wall Street dann erreicht, leben frisch eingestellte Analysten von dem Futter, das ihnen vom Volk zugeworfen wird.
Was kommen soll, wird kommen
Bewegt man sich auf dem Gebiet von Apple, und allem was die Firma so hinter sich herzieht, sind interessante Vorgänge zu beobachten: Wenn beispielsweise ein bekannter Mitarbeiter die Firma verlässt, ein Neuer hinzukommt oder neue Gerätschaften anstehen. Die Produkt-Zyklen sind ja mittlerweile bekannt. Neues Jahr, selbe Zeit: Irgendjemand hat verheißungsvolles prophezeit, schlimmer, ein Bild oder Video von Bauteilen neuer iDevices hochgeladen. Aktuelles Beispiel: Das iPhone 6. Die Presse klammert sich an jedes noch so kleine Ästchen, die Fans drehen durch, diskutieren und fachsimpeln über Realitätsgehalt von Meldungen, der irgendwann aber auch nicht mehr wichtig ist. So entsteht eine gewisse Erwartungshaltung. „Wenn die das jetzt nicht endlich bringen...“, dürften sich viele schon häufiger gedacht haben. Das geht natürlich auch an Apple nicht vorbei, der Kunde muss ja befriedigt werden. So schnell ist aus einem kleinen Gerücht eine Messlatte geworden – und das Unternehmen täte gut daran, zu liefern.
Natürlich verbreiten sich Apple-Gerüchte auch über andere Kanäle als nur über Analystenspekulationen. pcmag
Das ist unser Beitrag zur Produktpalette Apples. Und er ist unmittelbarer, als man annehmen könnte. Unser Interesse, unser Wunschdenken oder die Angst, etwas nicht so zu bekommen, wie wir es gerne hätte, nährt den Analysten. Der wiederrum lässt vom Stapel, was kommen soll, damit wir zufrieden sind – aber auch die Anleger. Daran müssen sich Unternehmen, gerade Apple, halten. Wenn man so will, üben wir mit unserem Verhalten Druck auf das Unternehmen aus, während wir den jungen Börsenanalysten Luft lassen. Ändern wird sich das nicht, warum auch. Alle bekommen ja, nach was ihnen dürstet: Der Analyst darf mit fremden Geldern wirtschaften; Apple weiß, was die Käufer wollen, und wir – wir haben das jüngste Gerücht, das uns bei Laune halten wird. Wahrheit hin oder her.
Der Autor wirft an dieser Stelle regelmäßig einen Blick auf Vergangenes und Kommendes. Ob ernst oder luftig – die Kolumne widmet sich interessanten Themen, rechnet gerne ab und dichtet noch lieber dazu. Der Apfelblick spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.
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