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Den Parkplatz sehen

moornebel

Pomme Miel
Registriert
13.04.04
Beiträge
1.488
Den Parkplatz sehen

Die Strassen werden schmaler, die Häuser kleiner; die Läden bekommen Quartiercharakter, ein schmaler Einfamilienhausgürtel folgt, der von einer Wiese begrenzt ist. Eine Öffnung, eine - wenn auch kleine - Weitung entsteht, Freiheit, vielleicht.
Am Ende der Strasse ein Parkplatz, ein paar Autos, sorgsam in ordentlichen Reihen abgestellt. Teerflächen mit Grünstreifen dazwischen, ein paar Bäume, die die spärliche Sonne in Schatten auf den Autos verwandeln.
Die Tür schliesst sich, wird abgeschlossen, damit was drin ist nicht raus kann. Das Auto kann so für eine Weile allein gelassen werden, bleibt, wo es hingestellt wurde mit allem, was drin ist.
Neben dem Parkplatz ein riesiger Gebäudekomplex, ein Tor, ein Mann, der hinter einer Glasscheibe in einem kleinen Häuschen sitzt und die Menschen empfängt, die hinein wollen und die hinein sollen durchwinkt. Ausweise werden gezeigt, Formulare überprüft, das Tor öffnet sich, kurz nur, für die Besucher nur. Dahinter ein Holzhaus vor dem Betonhaus, die Besucher gehen hinein. Wieder eine Glasscheibe, mit einem Loch, wo Papiere hindurch geschoben werden können und Worte durchschlüpfen, ungehindert.
€ 6.50. Soviel und nicht mehr. Tabak, Schokolade, Getränke - die Zusammenstellung ist dem Besucher überlassen. Sich in den Empfänger versetzen - was wäre wohl passend, nötig, erwünscht? € 6.50. Soviel und nicht mehr. Die Wahl fällt schwer, die Auswahl ist mager. Durch das Loch in der Glasscheibe wird das Formular zurück geschoben, mit einem Gruss für den Empfänger, ob er das je lesen wird?
Ein Schlüssel, in der Hand der Besucher! Alles, was nicht Kleidung ist, kommt in ein Fach. Wird von den Besuchern eingeschlossen, damit nicht raus kann, was drin ist und nicht rein kann, was draussen bleiben soll.
Durch eine Tür in einen Gang durch eine Tür in einen kleinen Raum - ein Mensch wartet auf die Besucher, lässt sie stehen, greift in alle Hosentaschen, in die Schuhe, hier, dieser Zettel, der muss auch ins Fach, damit nicht rein kann, was draussen bleiben soll, Arme ausstrecken, sich um sich selbst drehen. Auf der anderen Seite des Raumes wieder raus, in einen Gang. Ein Mann begleitet die Besucher aus dem Holzhaus hinaus, über einen leeren Innenhof hinüber zum grossen Betonhaus - Schlüssel, in der Hand des Begleiters! Die Drehtür bewegt sich, einen Men-schen aufs Mal durchlassend, in einen Raum - Schlüssel, in der Hand des Begleiters! Die Tür geht auf, ein kaltlichterleuchteter Empfang empfängt, fängt die Besucher, die Tür geht zu. Wieder eine Glaswand mit Loch, ein Formular wird durchgeschoben, Worte schlüpfen hin und her, ungehindert. Es wird gelacht.
Nummer 1 bitte! Schlüssel, in der Hand der Begleiterin - die Tür öffnet sich, schweres Glas, schwerer Stahl, schweres Schloss - ein Gang, vier Türen seitlich, links, eine ist offen, ein Tisch, vier Holzstühle rechts, ein Holzstuhl links, ein gepolsterter Stuhl am Kopfende, ein Mann. Umarmung, herzliche Worte, endlich! Das Formular wird von dem Mann unterschrieben, der Gruss ist angekommen, der Tabak, die Schokolade, die Getränke auch. € 6.50. Soviel und nicht weniger.
Der Mann sitzt links, allein, die Besucher rechts, allein, die Begleiterin auf dem Polstersessel, allein - wachsam. Im Raum ein Licht, kalt, vier Wände, eine Decke, ein Boden, eine Tür - offen. Das Gespräch ist nah, freundlich, fröhlich zuweilen, ernst immer wieder, Neuigkeiten werden ausgetauscht, die gänzlich unbekannte Umgebung des Mannes beschrieben. Die Begleiterin gibt Hinweise, die für die Besucher Neuland beschreiben.
Was siehst Du, wenn Du aus dem Fenster schaust, dem vielfach geschlossenen? Den Himmel, die Sonne; einen Vogel vielleicht - den Parkplatz.
Noch ein paar Worte, die Zeit ist um, drei Mal im Monat um, nach 30 Minuten um. Die Begleiterin führt den Mann aus dem Raum, aus dem Gang in einen anderen Gang - kein Blick zurück, ein andermal vielleicht.
Die Besucher wollen raus, aus dem Gang in den kaltlichterleuchteten Empfang, den Innenhof, das Holzhaus, die Sachen aus dem Fach nehmen und nach Hause fahren. Doch die Tür ist zu. Zu. Ein Begleiter kommt, führt die Besucher durch die Tür, Schlüssel, in der Hand des Begleiters, auf den Hof, durch eine andere Tür, Schlüssel, in der Hand des Begleiters, ausgespien auf einen anderen Hof. Um die Ecke das Holzhaus, die Sachen aus dem Fach (Taschenmesser wieder in die Hosentasche), durch das Loch in der Glaswand den Schlüssel, in der Hand des Besuchers, geschoben. Über den Platz zum Tor, wo der Mann hinter einer Glasscheibe in einem kleinen Häuschen sitzt und die Menschen durchwinkt, die hinaus dürfen und die bleiben sollen nicht durch lässt.
Auf der kleinen Bank vor dem Häuschen sitzt ein kleines Mädchen, seine junge Mutter, sie weint.
Stacheldraht. Scheinwerfer, Mauern, Stacheldraht. Trutz. Keine Burg. Rund herum Stacheldraht. Gerollt, gestreckt, gewunden, gelegt, Stacheldraht. Stammheim. Untersuchungshaftanstalt.
Das Auto wird aufgeschlossen, was drin war bei der Ankunft, ist immer noch da, konnte auch nicht raus. Die Besucher winken zu den Fenstern, den vielfach verschlossenen. Sieht er's? Sehen sie's? Sehnsuchtsvoll zum Parkplatz blickend?
Die Strasse zieht sich stadtwärts, quert eine Wiese, die die Grenze zum Einfamilienhausgürtel bildet, wer da wohl wohnt? Eine Öffnung, kleine Weitung, Freiheit, vielleicht. Sie bleibt zurück, die Läden, Häuser, Strassen werden wieder grösser, die Stadt saugt das zu ihr Gehörende in sich hinein.

moornebel



Dieser Text entstand am Tag nach dem Besuch eines Untersuchungshäftlings. Er wurde in der Zwischenzeit verurteilt und hat seine Haftzeit hinter sich gebracht.
 
Zuletzt bearbeitet:

Francis

Golden Delicious
Registriert
23.09.04
Beiträge
11
Eindrucksvoller Text. Brauchte ein Momentchen bis ich wusste was genau beschrieben wird... Ich meine es ist - heut zu Tage, da alles so plakativ dargestellt wird - ein interessanter, einfühlsamer Text.
 

Cyrics

Neuer Berner Rosenapfel
Registriert
01.04.05
Beiträge
1.973
hmmm... meine ehrliche Meinung ist, dass mir der Text nicht gefällt. Er erinnert mich einfach zu stark an Alfred Döblin, und dessen Stil ist für mich einfach zu gewöhnungsbedürftig.

Der Text ist sonst nicht schlecht, auch gut strukturiert etc., aber der Stil gefällt mir nicht! Trotzdem weiter so *g* auch wenn es schon länger her zu seien scheint und bis jetzt niemand drauf geantwortet hatte.... (ungewöhnlich)