Die bereits aufgeworfene "Schuld-Frage" ist eine, die meiner Meinung nach ein Paradebeispiel einer schwierigen Frage ist, auf die es keine einfache Antwort gibt.
Wirklich schuldig sein oder sich schuldig fühlen lässt sich sinnvollerweise eigentlich immer nur auf eigene Taten (oder Unterlassungen) beziehen/anwenden.
Nichtsdestotrotz ist gleichzeitig die "historische Schuld" eine Hypothek, die die Nachkriegsgenerationen mit sich herum tragen, noch sehr lange herum tragen müssen und - meiner Meinung nach - auch sehr lange herum tragen sollten.
Bei all der Grausamkeit und Menschenverachtung des Nazi-Regimes als Gesellschaft nichts oder zu wenig aus der Geschichte zu lernen, hielte ich persönlich für eine menschliche/kulturelle/zivilisatorische Katastrophe. Das heißt jetzt wiederrum nicht, dass ich erwarte oder gar fordere, dass man monatlich demonstrieren geht oder sich einer entsprechenden Vereinigung anschliesst (auch wenn natürlich nichts dagegen spricht das trotzdem zu tun). Nur vergessen sollte man die Geschichte eben auch nicht oder verharmlosen oder als gänzlich irrelevant von sich schieben. Man kann das ja auch im kleinen Rahmen berücksichtigen indem man den eigenen Standpunkt im privaten Umfeld nicht unausgesprochen lässt oder indem man sich mindestens zweimal überlegt, bei welcher Partei man sein Kreuzchen macht.
Schafft man es nachhaltig dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt, kann man vielleicht auch eine solche historische Hypothek irgendwann zurück zahlen. Vereinfacht gesagt im Sinne von "ja, das was damals passiert ist, war furchtbar. Aber wenigstens haben wir (als Gesellschaft) daraus gelernt".
Hier ist also eine gewisse Dualität des Denkens gefordert bzw. erforderlich. Auch wenn ich selbst nichts getan habe, um "Schuld auf mich zu laden", gilt es mit dieser Hyptothek der Geschichte vernünftig umzugehen.
Die "Schuld-Frage" kann man aber auch noch weiter spinnen und auf die aktuelle Situation mit der großen Anzahl an Migrationswilligen beziehen.
Ein Gedankenspiel dazu:
Wenn wir mal davon ausgehen, dass die aktuelle weltpolitische Lage nicht rein zufällig oder ausschließlich aufgrund unregeluierbarer kosmischer Ereignisse zustande gekommen ist, dann lässt sich festhalten, dass die aktuelle Situation im Wesentlichen eine Folge vorheriger von Menschen betriebenen Aktionen und Reaktionen ist.
Wenn wir dann weiterhin mal die "wer hat denn jeweils von den Aktionen/Reaktionen profitiert"-Brille aufsetzen und uns die jüngere Geschichte - z.B. des Nahen Ostens oder einiger Regionen in Afrika - diesbezüglich anschauen, dann ist es durchaus möglich, dass man zu dem Ergebnis kommen kann, dass einige Teile der sog. westlichen Gesellschaft(en) von den schlechteren Verhältnissen andernorts tatsächlich profitiert haben könnten.
Wenn wir jetzt weiterhin annehmen, dass die Verhältnisse irgendwann einen Punkt erreicht haben, dass eine signifikante Anzahl an Menschen sich gezwungen sieht die jeweiligen Regionen zu verlassen und wo anders ihr Glück zu versuchen (und ich glaube wir können mal davon ausgehen, dass kaum jemand aus "Jux und Dollerei" leichten Herzens seine Heimat und ggf. Familie verlässt), wer trägt dann daran die Schuld und wer sollte entsprechend (einen Teil) der Verantwortung dafür übernehmen?
Ich denke in den seltensten Fällen wird dieses Gedankenspiel zu dem Schluss führen, dass die aktuell/jeweils Migrierenden selbst gezielt die Situation herbeiführen wollten überhaupt auszuwandern. Welche Schuld trifft diese Menschen? Wofür kann man sie verantwortlich machen?
Auch hier gelangt man einen Punkt und hier schließt sich mein Kreis zu oben, an dem es ohne eine gewisse Dualität des Denkens nur schwierig weiter geht. Man kann sicherlich die Umstände anprangern, die dazu führen, dass Hundertausende sich gezwungen sehen ihre Heimat zu verlassen, aber man sollte das meiner Meinung nach nicht eins zu eins auf diejenigen Menschen projezieren, die diesem Zwang nachgeben müssen. Zumal man sich auch mal selbst fragen muss, wie man in dieser Situation handeln würde. Oder eine noch fiesere Frage: wie hätte man sich selbst wohl 1939 in Deutschland verhalten? Ich traue mir selbst nicht zu mit Gewissheit zu sagen, dass ich "bei denen" bestimmt nicht mitgemacht hätte. Das ist aus heutiger Sicht zu einfach zu behaupten.
Und noch als Abschluss für diesen eh schon viel zu lang geratenen Post (<= selbst erfüllende Prophezeiung des einleitenden Statements...?) :
Was mich immer wieder erstaunt ist, dass trotz all der rasanten technischen Entwicklungen, die die Welt in der jüngeren Vergangenheit erlebt hat, sich die Zivilisation als Ganzes erschreckend wenig weiterentwickelt. Wenn sie das überhaupt tut.